(Predigttext: Mt. 25,1-13)
1 Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen.
2 Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug.
3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.
4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.
5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.
6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!
7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.
8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.
9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.
10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.
11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf!
12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.
Liebe Gemeinde,
heute, am Totensonntag oder Ewigkeitssonntag steht als Evangelium ein Text im Mittelpunkt, der mit Totengedächtnis, mit Trauer, zumindest auf den ersten Blick wenig zu tun hat. Es ist ein Gleichnis Jesu, das nicht das Ende des einzelnen Lebens, sondern das Ende der Welt, die Wiederkunft Christi zu veranschaulichen sucht. Es ist ein Text, den man nicht nur als Frohbotschaft verstehen kann, sondern möglicherweise auch als Drohbotschaft einsetzbar ist. Es gibt, so suggeriert er jedenfalls auf den ersten Blick ein zu spät, und es gibt angesichts des Endes der Dinge, des Endes der Welt, ein kluges und ein törichtes Verhalten – so jedenfalls werden die jungen Frauen hier ja tituliert. Es ist ein bisschen wie bei dem berühmten Zitat von Gorbatschow, dass er mit Blick auf die reformunwillige Führung der DDR im Oktober 1989 gesagt hat: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.
Dabei blicken wir am „Totensonntag“ doch zuallererst zurück auf das individuelle gelebte Leben und fragen uns: Wie kann man weiterleben, wenn alles ganz anders gekommen ist? Wie kann man zurechtkommen, wenn das, was so viel Halt gegeben hat, auf einmal weggebrochen ist?
Es ist schlimm, wenn etwas ganz anders kommt, als man es sich ausgedacht hat. Für viele von uns ist es in diesem zu Ende gehenden Kirchenjahr ganz anders gekommen.
Manche mussten an einem offenen Grab stehen und haben gespürt, dass dieser Abschied ein endgültiger ist. Nun muss man wirklich ohne diesen einen Menschen, den man so lieb hatte und den man so brauchte, weiterleben. Dabei hat niemand gefragt, ob einem das recht ist.
Gerade heute, am Ewigkeitssonntag, suchen wir nach Worten und Zeichen, die uns gewiss machen: Es wird auch wieder anders werden. Es gibt eine Zukunft, trotz, ja sogar mit dem Schmerz.
Der Predigttext hält allerdings ein höchst ungewöhnliches Bild bereit für diesen Tag – ein Bild, mit dem man ganz anderes verbindet als Trauer, Endlichkeit und Tod. Es ist das Bild einer Hochzeit, auf die Menschen sich vorbereiten, mit all den Mühen, all den Erwartungen, all der Vorfreude.
Da warten zehn junge Frauen gemeinsam auf einen Bräutigam, vermutlich, um ihn anschließend entweder zum Haus der Braut oder mit der Braut zum Haus seiner Eltern zu begleiten. Mit ihren Öllampen wollen sie den feierlichen Hochzeitszug begleiten, wenn der Bräutigam eintrifft. Wenn, ja wenn er endlich eintrifft. Denn der Bräutigam bleibt aus, er kommt nicht zur geplanten, erwarteten Zeit. Die jungen Frauen warten. Wir dürfen vermuten, dass sie das nicht stumm tun, sondern miteinander reden. Hören wir einmal in ihr Gespräch hinein:
„Nun warten wir schon so lange". „Der lässt sich aber wirklich Zeit." „Wann er wohl endlich kommt?" „Meine Fackel brennt nicht mehr lange. Hast du noch Öl dabei?" „Ja, sicher, ich habe welches mitgenommen." „Öl - nein, wieso, sollten wir das?" „So lange wird es doch wohl nicht dauern!" „Ach, er kommt bestimmt bald. Das Öl wird schon reichen."
„Es wird schon reichen". Ach, es wird schon. Es wird schon gehen. Es wird schon nicht so ernst gemeint sein. Es wird schon in Ordnung sein. Es wird schon reichen, was ich tue.
„Es wird schon" - im Alltag sind das Worte hilfreicher Selbstentlastung. Gerade bei Menschen mit eher perfektionistischen Tendenzen können diese ganz wichtig sein. Die innere Haltung des „es wird schon werden" bewahrt davor, alles bis ins Detail planen und regeln zu wollen und dafür viel mehr Zeit und Energie aufzuwenden, als die Sache eigentlich wert ist. „Es wird schon" steht für eine Haltung, die einiges dafür tut, dass etwas gelingt - und auch einiges lässt. Sie lässt es ein wenig darauf ankommen, ob es genug sein wird, und gibt sich damit zufrieden. „Es wird schon" eignet sich für die Fragen und Dinge des Alltags, für die kleinen und größeren Organisationsnotwendigkeiten, das das, was nun einmal getan werden muss.
„Es wird schon" eignet sich allerdings nicht für das, woran mein Herz hängt und nicht für das, was mich unbedingt angeht. „Es wird schon" drückt auch immer aus, dass es mir nicht ganz so wichtig ist, ob es nun wirklich reicht und gelingt. Es wird schon, das hat zugleich etwas trostloses, ja etwas herzloses, sagt man es leichthin, gerade zu den Menschen, die trauern, die einen anderen verloren haben. Es wird schon, das kann auch eine Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringen, eine Gleichgültigkeit gegenüber Trauernden, ein Gleichgültigkeit gegenüber dem, was unbedingt wichtig ist.
Interessanterweise enthält das Gleichnis keinerlei Moral. Die klugen Frauen werden nicht deswegen zum Fest eingelassen oder kommen in das Himmelreich, weil sie so tugendhaft, so mildtätig, so demütig oder was auch immer gewesen sind. Dieses Missverständnis hat es in der Auslegungsgeschichte immer wieder gegeben. Manche Pforten gotischer Kathedralen zeigen fünf tugendhafte und fünf lasterhafte Frauen, die in die ewige Seligkeit bzw. die ewige Verdammnis eingehen. Im biblischen Text ist die moralische Dimension allerdings gerade nicht zu finden. Das Verhalten beider Gruppen ist absolut identisch, beide schlafen auch ein und drohen so die Hochzeit fast zu verschlafen, mit einer auf den ersten Blick unscheinbaren Ausnahme, dass die einen Öl mitgenommen haben und die anderen nicht. Hier wechselt interessanterweise auch die Bezeichnung im Text: Die bisher als „klug" bezeichneten jungen Frauen werden jetzt als „vorbereitet" bezeichnet, griechisch hetoimoi.
Das Gleichnis bietet also nicht eine biblische Variante von „Goldmarie und „Pechmarie", die sich durch Fleiß bzw. Faulheit ihr Schicksal verdienen. Die Logik ist eine andere. Nicht durch besondere Verdienste, nicht durch Tugenden, nicht einmal durch Wachbleiben kommt man in das Himmelreich, nur durch die Tatsache, dass man Öl für die Lampe mitgenommen hat.
Was also ist dann die Torheit der fünf als töricht beschriebenen Frauen? Sie unterscheiden sich von den als „klug" bezeichneten Frauen durch eine innere Haltung dem Fest gegenüber. „Es wird schon" steht gegen „unbedingt wichtig". Unbedingt wichtig ist ihnen die Hochzeit, das Fest oder ihre Aufgabe, den Bräutigam zu begleiten. Eine solche Haltung lässt Öl mitnehmen, auch wo es nicht gefordert wurde und auch gar nicht nahe liegend scheint. Aber wenn es noch ein wenig mehr dazu beitragen kann, dass das ersehnte Wirklichkeit wird, dann kommt selbstverständlich auch das Öl mit.
Die fünf Frauen sind „töricht", weil sie kurzsichtig sind. Sie sehen auf das, was wahrscheinlich und nach ihren Maßstäben erwartbar ist. Sie blicken auf das Vordergründige, nicht auf das Verheißene. Sie gehen davon aus, dass es auch diesmal so sein wird, wie es bei Hochzeiten immer ist: Der Bräutigam kommt, wenn man ihn erwartet und dann geht alles seinen gewohnten Gang.
Und eben darin liegt ihr Irrtum. Es ist gerade unter den Bedingungen dieser Welt eben nicht so, dass alles seinen Gang geht, das alles irgendwie schon gut wird. Wer darauf vertraut, hat sich gründlich verrechnet. Nicht alle Wunden heilt die Zeit, nicht alles wird schon wieder gut. Und eben das kalkulieren sie nicht ein.
Darin liegt der Unterschied zu den klugen, den vorbereiteten Frauen. Diese wissen, dass sie weder Zeit noch Stunde des Bräutigams kennen und richten sich über das menschlich Erwartbare hinaus aus. Ihre Hoffnung auf das verheißene Fest ist stärker als die Orientierung an dem Lauf der Welt. Sie haben Öl mit, das ihre Fackel in der Dunkelheit immer wieder entzündet. Das Öl ist der Stoff, der Hoffnung und Sehnsucht weiter brennen lässt, auch wenn es dauert und wenn es viel länger dauert als gedacht. In dieser Zeit – auch in Zeiten der Trauer, die einen betäuben kann – braucht es die Sehnsucht, eine immer noch oder immer wieder brennende Sehnsucht. Diese wach zu halten, oder vielleicht besser: sie immer wieder zu entfachen, das ist das Entscheidende. Es ist die Chance des Ewigkeitssonntags und des Gleichnisses, uns daran zu erinnern.
Solches Öl der Hoffnung und der Sehnsucht bewahrt nicht davor, schläfrig zu werden oder gar einzuschlafen. Es bewahrt auch nicht vor Schmerz, vor Trauer und Einsamkeit. Aber wer es besitzt, der gibt die Hoffnung nicht auf, dass es einst einen neuen Himmel und eine neue Erde geben wird, dass das Leid dieser Welt nicht das letzte Wort sein wird. Darauf richtet sich der Ewigkeitssonntag. Er versucht es mit Bilder zum Umschreiben, dass wir als Menschen eben in der Ewigkeit Gottes geborgen sind. Und eines dieser Bilder ist das einer Hochzeit, zu der wir alle geladen sind. Die Bilder, die Gleichnisse Jesu wollen eben zu solcher Hoffnung ermutigen. Dass die Tränen einmal in Freude verwandelt werden, wie wir vorhin gebetet haben, ist eines dieser Bilder. Das Öl der Hoffnung und der Sehnsucht, unbedingt wichtig und nicht vertröstend, es erinnert und daran, dass unser Gott kommt, dass er da ist, auch im Schmerz und in der Trauer, uns in den Arm nimmt und daran erinnert: Ich habe dich, ich habe deine Lieben, von denen du Abschied nehmen musstest, beim Namen gerufen. Sie sind mein, und du bist mein. Nichts kann uns voneinander scheiden.
Amen.