(Predigttext: 1 Kor 4, 1-5)
1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.
3 Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.
4 Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet.
5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.
Liebe Gemeinde!
Weihnachtszeit ist Zeugniszeit. So ist das jedenfalls bei uns in Südafrika. In Deutschland gibt es Zeugniss erst im Januar und dann auch nur für das halbe Jahr. Aber ich kann mich gut daran erinnern, wie die Zeit vor den Weihnachtsferien regelrecht zugepflastert war mit Klassenarbeiten und Klausuren. So vier Tag vor Weihnachten noch eine vierstündige Matheklausur – da kommt Weihnachtsfreude auf.
Weihnachten ist Zeugniszeit, so haben alle mit Kindern das in der letzten Woche erlebt.
Es gibt übrigens ein berühmtes Weihnachtslied, gesungen nach der Melodie von „Leise rieselt der Schnee“, das man gut auf diese Situation umdichten kann:
„Leise rieselt die vier auf das Zeugnispapier,
fünfen und sechsen dazu, freue dich, sitzen bleibst du.“
Aber Spaß beiseite, mit den Zeugnissen ist schon eine ernste Suche. Schulnoten, Berwertungen, Urteile –sie gehören zu unserem Leben und man kann sich vermutlich nicht früh genug daran gewöhnen. Ob man sich aber damit abfinden muss, immer jedenfalls, ist eine andere Sache.
Bewertungen haben natürlich ihre guten Seiten. Letztlich zeigen sie etwas wie Anerkennung.
Gut hast du es gemacht! Das lassen wir uns gerne sagen. Das Lob, die Anerkennung der anderen, ihr positives Urteil über mich, das höre ich gerne. Das brauche ich oft richtiggehend. Vor allem dann, wenn ich mir selber unsicher bin. Nicht richtig einschätzen kann, was ich getan habe. War es wirklich in Ordnung so? Hätte ich nicht manches doch lieber noch anders machen sollen? Wäre das nicht besser gewesen? Gerade in meiner Unsicherheit sehne ich mich nach Anerkennung von außen. Will mir von anderen sagen lassen, was ich mir selber nicht glaube. Will von anderen ein Urteil, wo ich meinem eigenen nicht traue. Will hören: Gut hast du es gemacht. Wir Menschen brauchen Bestätigung.
Und hinter dieser Sehnsucht steckt ja noch viel mehr. Nicht nur die Bestätigung für meine Worte und Taten ersehne ich, sondern dadurch eine Bestätigung meiner Person: Du hast es nicht nur gut gemacht, du bist gut. Bist in Ordnung, bist liebenswert. Wir schätzen dich.
Ich weiß allerdings zugleich, dass diese Sehnsucht gefährlich sein kann, dass sie in die Irre führen kann. Wie leicht machen wir uns abhängig von solchem positiven Urteil der anderen. Richten unser Handeln danach aus. Fragen vor allem danach, wie es ankommt, wie wir ankommen. Das gilt ja nicht nur für Politiker, denen populistische Tendenzen nachgesagt werden, und die manchmal Meinungsumfragen zum wichtigsten Entscheidungskriterium machen.
Nicht nur sie, wir alle können abhängig werden von anderen und ihrem Urteil. Und verlieren dadurch unsere Freiheit. Und was ist eigentlich, wenn das Urteil über mein Werk schlecht ausfällt. Bin ich dann auch als Person nichts mehr wert?
Aber nicht allein das ist das Problem. Oft glaube, oft vertraue ich anderen genauso wenig wie mir selbst und meine Unsicherheit bleibt. Und ich warte weiter – auf das Lob, auf das Urteil, das zählt. Man tut das, wozu man sich berufen fühlt, etwas, was man gut kann, arbeitet unter vollem Einsatz, erreicht vieles, worüber man sich freut - und muss sich am Ende anhören, was man alles hätte anders oder richtig machen sollen.
Da kommt nun Paulus mit seinem Brief an uns in Spiel. Ihm ist es so ergangen. Er macht sich auf den weiten Weg ins Ungewisse, verlässt seine angestammte Heimat, begibt sich in Lebensgefahr: Reisen war vor zweitausend Jahren nur ganz selten eine erholsame Urlaubsbeschäftigung. Aber er muss es einfach tun, weil er das, was er durch Jesus Christus vom dreieinen Gott begriffen hat, nicht für sich behalten kann. Paulus weiß: Das Evangelium hat sein Leben zum Guten verändert, und es wird viele andere Leben zum Guten ändern. Darum will er es unter die Leute bringen. Die ganze Welt muss davon wissen!
Und er findet sie auch, Menschen, die ihm zuhören, sich anstecken lassen. Menschen, die ihr Leben am Evangelium neu ausrichten und in Gemeinschaft mit anderen ihren neuen Glauben leben. An vielen Orten am Mittelmeer findet er sie; so auch in der Hafenstadt Korinth. Aber kaum hat er gerade dieser Gemeinde den Rücken zugekehrt, da kommen sie aus ihren Löchern, die Paukertypen mit ihren spitzen Stiften. Die Oberlehrer machen sich an die Arbeit und schreiben Zeugnisse. Inhalt der theologischen Aussagen: Nun ja - Im Ganzen gut. Aber der mündliche Ausdruck, das war nun bestenfalls ein - mangelhaft. Und gar die Körperhaltung, das war doch nun gleich eine glatte - Sechs. Da haben wir doch hier vor Ort Besseres zu bieten. Soll sich dieser Ausländer mal an diesen leuchtenden Vorbildern ein Beispiel nehmen! Versetzungsvermerk: Dieser Kandidat rückt nicht auf.
Paulus ist sitzengeblieben. Und das, obwohl er doch längst wieder aufgestanden war. Er wollte doch kein Zeugnis. Er brauchte gar keine Beurteilung von den Korinthern. Erst recht keine Verurteilung. Jetzt sieht er sich völlig missverstanden. Er ist enttäuscht. Eigentlich hatte er doch ein gutes Gefühl, als er sich von ihnen verabschiedete und wieder auf den Weg machte. Erschöpft sich dieses neue Leben, das so hoffnungsvoll begonnen hat, jetzt in der Benotung seiner Körperhaltung? Verlieren sich die ungeahnten Möglichkeiten des Neubeginns in „mangelhaftem mündlichen Ausdruck“? Es ging doch um die Frohe Botschaft für ein Menschenleben, nun aber um das Aufrücken in die nächste Klasse?
Zeugnisse, Beurteilungen, Verurteilungen: Diese kleinen und großen Gerichtstage des Lebens machen dieses Leben schwer. Manchmal sogar zur Hölle auf Erden. Nämlich dann, wenn an aufkommenden Selbstzweifeln das gesunde Selbstvertrauen zerbricht. Mir jedenfalls haben schlechte Noten allein so gut wie nie weitergeholfen.
Was aber kann uns da weiterhelfen? Wie kommen wir heraus aus diesem Beurteilungszwang? Paulus setzt sich hin und schreibt einen Brief, diesen ersten uns bekannten Brief nach Korinth, aus dem wir vorhin den Predigttext gehört haben. Seine Reaktion kann nicht warten, bis er wieder persönlich anreisen kann. Denn es geht um viel. Es geht nicht um Menschen und ihre Beurteilungen, sondern um Gott und sein Urteil. Das hilft uns Menschen wirklich weiter.
Paulus sagt, von wem dieses Urteil kommt. Das Urteil, das zählt und die Unsicherheit beendet. Der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.
Der Apostel redet über dieses Urteil angesichts der Urteile, die in der Gemeinde in Korinth über ihn gesprochen werden. Was er dort zu hören bekommt, das fällt nicht gut aus. Er kommt schlecht an bei vielen dort. Jedenfalls gibt es andere, die offensichtlich besser ankommen. Aber das bekümmert ihn nicht: Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht.
Paulus weiß, dass hier nur vorläufig gerichtet wird. Und er nutzt die Gelegenheit, nicht nur dieses Urteil, sondern alle menschlichen Urteile in Frage zu stellen. Euer Urteil ist nicht von Bedeutung für mich, überhaupt kein menschliches Urteil, sei es gut oder schlecht.
Das gilt auch für ihn selbst: auch richte ich mich selbst nicht. Auch mein eigenes Urteil, so sagt Paulus, interessiert nicht. Ich weiß zu gut, dass ich mich irren könnte. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt.
Auch das eigene Gewissen – so wichtig es ist - ist also keine letztgültige Instanz. Nur einer spricht das entscheidende Gut so! Gut hast du es gemacht! Das ich mir selbst nicht sagen kann Paulus wartet auf diesen Richter, und das macht ihn unabhängig. So kann er in Freiheit seiner Gemeinde in Korinth gegenüber treten und ihr sagen, was er meint, in Gottes, in Jesu Namen sagen zu müssen. Ohne Rücksicht darauf, dass er sich damit vielleicht noch unbeliebter machen wird. Darauf kommt es nicht an. Ich bin nicht dazu da, es den Menschen recht zu machen. Sondern Christus und Gott selbst: Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse, das gilt natürlich in ganz besonderem Maße für den Apostel, dem das Amt der Verkündigung aufgetragen ist. Es gilt aber heute nicht nur den Pfarrern und Pfarrerinnen. Diener und Dienerinnen Christi, das sind alle Getauften. Uns allen ist es aufgetragen, Haushalter zu sein über Gottes Geheimnisse.
Es geht nicht um irgendwelche Rätsel, die zu lösen wären. Es geht um das Geheimnis der Begegnung unseres Lebens mit dem lebendigen Gott. Dass Gott neben uns ist und uns leben lässt, obwohl wir selbst kein Leben schaffen können. Dass unser Leben frei ist und frei bleibt, obwohl wir nicht müde werden, Grenzen zu ziehen und Mauern zu errichten. Dass jedes Leben gleich wichtig und wertig ist, obwohl wir alle unterschiedlich sind. Dass die Liebe das Menschsein wirklich groß macht, obwohl es manchem viel leichter fällt, Geld zu investieren, als aufrichtig Liebe zu verschenken. Wir können vieles: Atomkerne spalten, Erbgut verändern, auf den Mond fliegen, immer älter werden. Aber zu sehen, dass wir aus den großen Geheimnissen Gottes leben, dass ein Leben ohne Freiheit, Gleichheit und Liebe misslingt - das bleibt manchem oft dauerhaft verborgen.
Die Fülle des Lebens kommt in der Krippe im Stall in diese Welt. Darum muss es auch in diesem Jahr wieder Weihnachten werden, damit wir diese Fülle nie aus den Augen verlieren. Dass wir Haushalter dessen werden, worauf es wirklich ankommt: Haushalter der Liebe Gottes, der Gnade unseres Herrn Jesus Christus und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Sie bewahren unsere Leiber und Seelen in Christus Jesus.
Die vier Adventssonntage mit ihren Texten buchstabieren die Weise seines Kommens, das Vordringen des Tages durch, das Ende der Finsternis. Sie sagen uns, was wir von unserem Richter zu erwarten haben. Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. (Sacharja 9,9) So wird am Ersten Advent unser Herr beschrieben, der sanftmütig auf einem Esel in Jerusalem einreitet.
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lukas 21,28) So fasst der Wochenspruch des Zweiten Advent zusammen, was das Kommen unseres Herrn und Richters bringen wird: Die Erlösung. Heute, am dritten Advent, wird die Vorbereitung auf sein Kommen in den Blick genommen: Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig. (Jesaja 40,3.10)
Und ganz besonders freudig ist dann der Wochenspruch für den vierten Advent gestimmt: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! (Philipper 4,4.5b)
An all dem ist es abzulesen, wer er ist, unser kommender Herr. Und an dem, was dann folgt, nach Weihnachten folgt und nach dem Einzug in Jerusalem. Ein Richter ist er, der sein eigenes Leben hergibt, damit bei uns am Ende das Urteil dastehen kann: Gut so! Ihn, und nur ihn, wollen wir in dieser Zeit mit offenen Armen, Ohren und Herzen empfangen.
Amen.