(Predigttext: Hebräer 4, 12-13)
12 Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und [a]schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
13 Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.
Liebe Gemeinde!
Was hat das Christentum mit einem Haifisch zu tun? Eigentlich eine etwas komische Frage. Nichts, wird man auf den ersten Blick sagen können. Denn gemeinhin verbinden wir mit Christentum einen gemeinsamen Glauben, der von Liebe und Güte und Nächstenliebe kündet, auch wenn wir wissen, das in der Geschichte immer wieder einzelne Christen, aber die auch die Kirchen als Institutionen gegen diese Werte eklatant verstoßen haben. Was hat ein Haifisch mit dem Wort Gottes zu tun, so konnte man sich vor einigen Jahren anlässlich des Kirchentages in Köln fragen, denn da wurde für den Kirchentag mit einem kleinen Haifischsymbol mit spitzen Zähnen und einer entsprechenden Floße geworben. Warum eigentlich?
Was ein Fisch mit dem Wort Gottes zu tun hat, das lässt sich ja noch leicht nachvollziehen. Denn lange bevor es die verfasste Kirche gab, wurde der Fisch zu einer Art Geheimzeichen und Kurzbekenntnis der ersten Christinnen und Christen. Eigentlich ist es nicht mehr als ein kleines Wortspiel. Die fünf Anfangsbuchstaben des griechischen Wortes ichtus ergeben einen kleinen Satz: Jesous Christos, huos theou, soter; frei übersetzt: Jesus Christus, Gottes Sohn, mein Erlöser. Ein ganz kurzes, sehr persönliches Bekenntnis von Menschen, die irgendwann im Laufe ihres Lebens der Botschaft des christlichen Glaubens begegnet waren und sich entschlossen hatten, nun ihr Leben darauf zu gründen, wohl wissend, dass diese Entscheidung einem unter den Bedingungen des christenverfolgenden römischen Staats sogar das Leben kosten konnte.
Ein Fisch also als Symbol eines kurzen Glaubensbekenntnis – das leuchtet ein – und auch deshalb erfreut sich dieses Symbol bis heute großer Beliebtheit, bis hin zu den Ihnen allen bekannten Aufklebern an Autos. Aber warum ein Haifisch, bei dem jedenfalls ich eher an frühe Steven-Spielberg-Filme, zähnefletschende weiße Haie und entsprechende Gruselszenen denken muss. Grund für diese Wahl war das Motto jenes Kirchentags, das sich auf jene Worte aus dem Hebräerbrief bezog, die wir gerade in der Epistellesung gehört haben und dem man Stichworte entnehmen kann wie: Lebendig, kräftig und schärfe. So war auch das Motto des Kirchentags, das sich für die Werbefachleute des Kirchentages offensichtlich mit jenem Haifisch verband. Ich gestehe, meine Schwierigkeiten mit diesem Bild zu haben, auch und gerade weil ich mir wünsche, dass Menschen, die von Gott ergriffen sind, ihrem Leben Lebendigkeit und Kraft und wohl auch Schärfe im Sinne von Entschiedenheit geben sollten.
Schwierig allerdings ist auch das, was uns diese wenigen Verse aus dem Hebräerbrief zumuten. Möchte ich wirklich so durchschaut, so bis in die Tiefen meiner Gedanken und Empfindungen seziert werden? Und dass meine Gedanken, Gefühle, meine »Gesinnung des Herzens« wirklich bis zum »Mark der Seele« bloßgelegt, nackt aufbereitet werden sollen vor jedermann, das schaudert mich. Wehrlos bin ich dann, jedermann ausgeliefert.
Gewiss, nun kann man einwenden, dass ja nicht von anderen Menschen, sondern von Gott die Rede ist, der mich so sehen kann, allerdings von Gott als dem Richter meiner Gedanken und meines Herzenssinn. Doch wo ist bei all diesem Aufdecken und Aufschneiden und Sezieren neben dem richtenden der gnädige Gott? Woher kann ich wissen, dass es hier nicht um gnadenloses Aufdecken meiner Schwächen, um Bloßstellen geht, und schon gar nicht darum, Gott als schwarzen Pädagogen zu missbrauchen, indem mir eingeredet wird, das Gott alles sieht und alles hört und man sich deshalb gefälligst anständig benehmen soll? Es soll im Reiche Gottes ja gerade nicht zugehen wie im Haifischbecken menschlicher Eitelkeiten und Pläne und Projekte, in dem jede Schwäche, jeder Fehler, jedes Versäumnis gnadenlos aufgedeckt und ausgenutzt wird.
Lese ich den Predigttext im Zusammenhang des Hebräerbriefs, dann kann ich erkennen, dass der Verfasser seine Gemeinde ermuntern will, im Glauben zu bleiben, er zugleich aber immer wieder davon spricht, dass die Menschen Ruhe bei Gott finden sollen. Das ist aber offensichtlich eine Ruhe, die nichts mit Stillstand, mit „ich will jetzt meine Ruhe haben“ oder „lass mich doch in Ruhe“ zu tun hat, sondern in der Menschen ganz bei sich selbst und so bei den anderen und bei Gott sein können. Eine Ruhe, in der die Zwiespältigkeit unserer Existenz für einen Augenblick überwunden ist – aber so überwunden, dass das gerade keine Täuschung, kein Wegschauen, keine Illusion ist, die ich mir durch Verstellen, durch Masken, durch Wegschauen erkaufe und erschwindle.
Die Wahrheit, die Lebenserfahrung des Hebräerbriefes ist dann aber auch die, dass es das nicht einfach so gibt. Das zur Ruhe finden, das Frieden haben kommt durch Gott, durch die Begegnung mit seinem Wort, sei es einem Vers aus der Bibel, der mir nachgeht, der mich plötzlich trifft, sei durch ein Gespräch, ein Wort, das andere mir sagen und das mich nicht mehr los lässt. Vor Gott brauche ich mich nicht zu verstecken, vor ihm brauche ich nicht die Masken aufsetzen, mit denen ich sonst oft und meistens auch ganz gut durchs Leben gehe. Ich muss nicht nur immer freundlich lächeln, nicht nur immer erfolgreich sein, sondern kann auch die Seiten an mir wahrnehmen, annehmen, die nicht zu meinem Selbstbild passen, die ich vor anderen verbergen will.
Eine solche Begegnung hat allerdings etwas von einem zweischneidigen Schwert. Sie zeigt Dinge, die ich nicht unbedingt sehen möchte, sie kann durch Mark und Bein gehen. Aber eine solche Begegnung kann mich auch verändern. Sie kann Kraft geben zu neuem Leben. Sie kann ermöglichen, Altes hinter mir zu lassen und ein Stück wenigsten neu zu werden. Sie kann mich lebendig machen, mir Kraft verleihen und meinem Leben neue Schärfe, neues Profil, neue Würze verleihen.
So hat es etwa eine Mann, nicht aus der Bibel, aber doch in der Geschichte des Christentums sehr bekannt, erlebt und für sich beschrieben:
"Unter einem Feigenbaum warf ich mich zu Boden, ich weiß nicht, wie es kam, und ließ den Tränen freien Lauf. Und Vieles sagte ich dir, ich klagte: 'ach Herr, wie lange?' Wie lange noch dies 'morgen, ja morgen?' Warum nicht heute? Warum soll nicht diese Stunde das Ende meiner Schmach sehen? Und siehe, da hörte ich aus dem Nachbarhause eine Stimme eines Kindes, das im Singsang wiederholte: 'nimm es, lies es; nimm es, lies es'. Ich unterdrückte die Gewalt der Tränen, erhob mich und wusste keine andere Deutung, als das mir Gott befehle, das Buch aufzuschlagen und die erste Stelle zu lesen, auf die ich träfe. Ich ergriff es, schlug es auf und las schweigend den Abschnitt, auf den zuerst mein Auge fiel: 'nicht in Fressen und Saufen, nicht in Wollust und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt' (Römer 13, 13f.). Weiter konnte ich nicht lesen; es war auch nicht nötig. Denn mit dem Schluss des Satzes flutete alsbald ruhige Gewissheit wie ein Lichtstrom in mein Herz, und alle Schatten der Unentschlossenheit wurden verscheucht.“ Und dann beginnt er ein Gebet zu Gott: „Du hast geleuchtet, immer strahlender wurde dein Leuchten, und du verscheuchtest meine Blindheit! Du hauchtest mich an, ich sog diesen Odem ein und atme dir nun entgegen; ich habe gekostet und hungere und dürste nun; du hast mich berührt, nun brenne ich nach dem Frieden in dir."
Diese Worte stammen von dem Kirchenvater Augustinus, der vor ca. 1600 Jahren lebte. Es war das Jahr 386, als Augustinus seine Bekehrung erlebte. Er war auf der Suche nach Sinn und Halt und hatte in Saus und Braus gelebt und ein luxuriöses, in jeder Beziehung ausschweifendes Leben geführt. Er war ein Literat und Rhetoriker, er studierte die Philosophen und war ein ausgesprochener Skeptiker. Doch sein Suchen nach Gott, seine Sehnsucht nach Sinn, ließen ihn nicht los. Seine Versuche, durch Askese und Selbstkasteiung Gott. Manchmal genügt vielmehr ein Wort, das alles verändert. So wie sich Augustinus durch ein Wort aus dem Römerbrief überführt, erkannt und verändert fühlte. Für Augustin, der alles andere als eine ruhiges Leben führen sollte, bedeutete diese Begegnung gleichwohl Ruhe bei Gott in all der Unruhe seiner Zeit und deshalb konnte er denn auch dichten und beten: Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
Was das Christentum mit einem Haifisch zu tun hat, das bleibt vielleicht auch damit noch nicht in Gänze geklärt. Und vielleicht ist das Bild wirklich etwas bemüht, auch wenn der Haifisch auf jenen Bildern durchaus etwas von den Eigenschaften des Wortes Gottes im Hebräerbrief erkennen ließ: lebendig und kräftig und scharf. Gottes Wort. Ein scharfes Wort: bissig, kraftvoll, dynamisch. Ein scharfes Wort auch, weil es nicht erbaulich, langweilig oder vorsichtig ist. Es nimmt das Leben auseinander, klärt es, öffnet es. Es seziert Verhältnisse und Abhängigkeiten. Es legt Ängste und Aggressionen frei. Es ist mutig und dient dem Leben. Wenn es von ihm heißt „bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens" sehe ich einen neuen Anfang für mich - und für andere. Die anfängliche Furcht, nur auseinandergenommen zu werden, ist der Freude gewichen, von Gott wahrgenommen zu sein, so, wie ich bin.
Amen.