2016-04-24 - Kantate - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: Kol 3, 12-17)


12 So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;

13 und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

14 Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.

15 Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in "einem" Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.

16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. 


Liebe Gemeinde oder soll ich sagen: ihr Auserwählten Gottes? 

 

Das ist zunächst eine merkwürdige Anrede. „Auerwählte“ ist ein Wort, das wir im Alltag kaum benutzen. Vielleicht denken wir an „Idols South Africa“. Da schaffen es nur wenige in die Endrunde und müssen sich dann mit ihrem Gesang dem Urteil der Jury stellen. Wenn die ihr o.k. gibt, sind einige Glückliche eine Runde weiter. Insofern sind sie dann wirklich Auserwählte. Aber ob wir sie so nennen würden? 

 

Wenn jemand sich selbst als „Auserwählt“ bezeichnet, würden wir ihn vielleicht mir guten Gründen für arrogant und selbstüberheblich halten. Bei stetiger Wiederholung wäre er vermutlich ein Fall für die Psychiatrie. Wir wissen von der Vorstellung eines auserwählten Volkes auch in den biblischen Schriften, das Volk Israel zunächst, die Christen haben sich dann als dessen Erbe gesehen. Wir wissen aber auch, wie diese Vorstellung religiös wie politische missbraucht worden ist. Dafür gibt es gerade in unserem Land bis heute verschiedene Beispiele. Wie dem auch sei: wir sind zu Recht vorsichtig geworden mit diesem Begriff. Auserwählte oder solche, die sich dafür halten, sind leider oft intolerant oder greifen gar zu den Waffen, sei es im Namen einer politischen Ideologie oder einer Religion. 

 

Das sind wir hoffentlich alle nicht, daher kommt unsere Vorsicht gegenüber diesem Begriff. Aber, mal ganz ehrlich – und damit bin ich noch einmal bei „Idols South Africa“ oder „Deutschland sucht den Superstar“: Gefallen würde uns das schon, einmal herausgehoben zu sein aus der Masse, einmal als etwas Besonderes anerkannt zu sein. Es muss ja nicht für jeden eine Casting Show sein. Aber einmal irgendwo ganz oben zu stehen und dann so huldvoll-gnädig ins Publikum zu winken, das hätte doch was? 

Darin steckt ein gutes Stück unserer Sehnsucht, anerkannt und geliebt zu sein, etwas ganz Besonders eben, unverwechselbar. Die Shows im Fernsehen spielen damit, man kann das gut oder schlecht finden. Aber die Sehnsucht, die ist da, und wir müssen uns dafür nicht schämen oder entschuldigen. 

 

Also doch – irgendwie „Auserwählte“ – das wären wir gerne. Wir wissen, nach den Maßstäben dieser Welt sind wir es meist nicht. Zu sehr sind wir in unserem Alltag und unseren großen und kleinen Problemen verhaftet. 

Nicht viel anders ging es vermutlich den Kolossern. Sie waren wahrscheinlich noch viel weniger privilegiert als wir. Als Christen hatten sie sich vielmehr eher als Außenseiter zu erkennen gegeben. Zudem waren sie ein ziemlich bunter Haufen: Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Nichtgriechen, Skythen, Sklaven, Freier – so sagt Paulus es von der Gemeinde. Viel bunter und unterschiedlicher geht es eigentlich nicht, wenn man an soziale, sprachliche, kulturelle und ethnische Vielfalt in der Alten Welt denkt. 

 

Ausgerechnet diese Vielfalt als auserwählt zu bezeichnen, war also zumindest verwegen. Paulus tut es dennoch. Es geht ihm dabei auch wohl nicht um bloße Abgrenzung nach außen. Ein starkes Gruppenbewusstsein kann ja in schwierigen Situationen und gegen eine als feindlich empfundene Umwelt überaus hilfreich sein. Ein Urteil über die anderen, die nicht zu der Gemeinde gehören, soll damit nicht gefällt werden. Paulus sieht vielmehr hinter die Unterschiede und Anfechtungen und Sehnsüchte der Menschen, an die er schreibt. Er sagt: trotz aller Anfechtungen, Zweifel und Unterschiede, die eure Gemeinde eigentlich zerreißen müsste, seid ihr, jeder und jede von euch, „Auserwählte“, von Gott gewollte und begnadete Menschen. 

 

Natürlich kann man jetzt viele Gründe anführen, warum das eher nicht so ist. Indem Paulus seine Gemeinde aber so anredet, sind sie „Auerwählte“. Sie sind es in dem Moment, in dem sie diese Worte wahrnehmen und aufnehmen. 

 

Friedrich Schleiermacher, ein großer Theologie und Prediger, der vor 200 Jahren in Berlin wirkte, hat genauen diesen Aspekt gut erkannt. Als er einen ersten Band seiner Predigten veröffentlichte, sah er sich mit der Frage konfrontiert, ob das überhaupt Sinn mache. Denn eigentlich seien die Menschen doch viel zu unterschiedlich, vielen bedeute das Christentum nichts mehr, oft müsste man eigentlich ganz bei den Anfängen beginnen. Soll die Predigt gewissermaßen eine festen Glauben bei den Hörenden voraussetzen oder erst überhaupt wecken, das war die Frage. Schleiermacher dagegen mahnte, trotz aller Schwierigkeiten, die Gemeinde und Predigthörer nicht zu unterschätzen. Er schrieb: „Vielleicht kommt die Sache dadurch wieder zustande, dass man sie voraussetzt.“ Mit Blick auf die Anrede „Auserwählte“, die ich ja eben auch für euch hier in unserer Kirche gebraucht habe, heißt das: Der Kolosserbrief bringt die Sache, dass ihr Auserwählte seid, dadurch zustande das er nicht nur seine Gemeinde, sondern auch euch auf solche fast unverschämt selbstverständliche Weise anredet: Ihr Auserwählten Gottes! 

 

So eine Anrede, so ein Leben im Lichte Gottes hat dann aber auch Folgen. Das war schon vorher in diesem Brief Thema und wir nun noch einmal aufgenommen. Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung und schandhafte Worte sollen in der Gemeinde nicht sein. Stattdessen sollen gelten: Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld. Das mag sehr holzschnittartig vorkommen, vielleicht zu simpel. Den Menschen vor 2000 Jahren waren diese Begriffe allerdings gut vertraut, sie waren auch keine christliche Besonderheit, sondern die christliche Gemeinde teilte diese Ideen mit der Philosophie und Ethik jener Zeit. Hinter diesen Laster- und Tugendkatalogen steht eine tiefe Einsicht, die man in vielen Texten der Antike findet. Es geht um Affekte und Emotionen und damit immer um die Frage, was treibt uns Menschen eigentlich an und wohin treibt es uns. Das ist offensichtlich nicht nur eine Frage der kritischen Vernunft, sondern auch eine von Emotionen und Körperlichkeit. Salopp gesagt: wir Menschen können eben nicht so ohne weiteres aus unserer Haut heraus. Alles menschliche Tun hat etwas mit Gefühlen und Affekten zu tun. Es ist ein bisschen wie bei „Star Wars“: Hass, Zorn und Angst führen zur dunklen, zur bösen Seite der Macht, nur Liebe, Mitgefühl und Demut dagegen ins Licht. 

 

Der Kolosserbrief nimmt genau das auf. Er ermahnt nicht nur, er moralisiert nicht einfach, sondern er macht Mut zu einer fröhlichen Veränderung, die immer etwas mit dem eigenen Körper zu tun. Er macht Mut zum Kleiderwechsel. Stück für Stück sollen wir das ablegen, was uns an einem Leben in der Liebe und in Christus hindert und ein neues Leben anziehen. Das müssen übrigens nicht für alle die gleichen Kleider sein, es darf schön bunt bleiben. Nur eines soll bei allen erkennbar sein – eine schöne Schärpe als Band der Liebe und Vollkommenheit. 

 

Wer dann so auserwählt und immer neu durch Christus befreit ist, der braucht dennoch Ort und Momente der Vergewisserung. Der brauchte, bei allem Kleiderwechsel, immer wieder den Zuspruch und die Ermahnung: Ihr Auserwählten, ihr Geliebten, ihr Heiligen. Das ist die geistliche Gemeinschaft in der Gemeinde, im Hauskreis, im Chor und in den Gottesdiensten. Vermutlich aus dem Gottesdienst der ersten Gemeinden stammen deshalb die folgenden Worte: Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Die Gemeinschaft in der Gemeinde und nicht zuletzt all die gottesdienstlichen Gelegenheiten – nicht nur am Sonntagmorgen- wo wir miteinander das Wort teilen, Gott loben und nicht zuletzt singen: das alles soll uns dieser Hoffnung vergewissern. Manchmal ist es eher trotziges gegen unsere eigenen Erfahrungen anbeten und ansingen. Gerade das Singen ist hier von Bedeutung. Es bringt unsere Emotionen in Bewegung. Es lässt uns nicht kalt. Es gehört zu den grundlegenden religiösen Erfahrungen. Wer singt, schafft eine andere Wirklichkeit. Darin liegt vermutlich auch der Grund, warum Zwingli auch in der reformierten Tradition damit gescheitert ist, die Orgel und den Gesang aus den Gottesdienst zu verbannen.

 

Wie man also als Christ lebt, darum geht es dem Apostel. Er sagt: Man sieht es auch daran wie ihr miteinander umgeht, und: man hört es an dem, was ihr miteinander singt! Diese Aussage unseres Textes bedarf am Sonntag Kantate besonderer Aufmerksamkeit. Das ist ja klar. Das Singen von Psalmen und Lobgesängen ist ein wesentliches Stück Glaubenspraxis. Es gehört einfach dazu, nicht nur am Sonntag Kantate, sondern immer, wenn Christen zusammenkommen. Im Gesang gewinnt der Glaube eine besondere Gestalt, da wird er leibhaftig. Deshalb geht es auch nicht in erster Linie um höhere musikalische Kulturleistungen, so anregend und wichtig sie immer auch seien. In der Gemeinde dürfen alle singen, seien sie geübte Chorsänger oder begeisterte Volksmusikfans, verhinderte Stars oder völlig unbegabte Musikmuffel. Und selbst das Danklied der Brummer ist dem Herren wohl gefällig. 


Amen.

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