2016-08-21 - 13. Sonntag nach Trinitatis - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: 1 Joh 4, 7-12)



7 Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
10 Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.


Liebe Gemeinde!


Nur in wenigen Texte der Bibel ist so häufig die Rede von der Liebe im 1. Johannesbrief. Allein 14 Mal begegnet dieses Wort in den sechs Zeilen des Predigttextes. Schon das macht deutlich, dass dem Verfasser dieses Briefes etwas ganz Wesentliches an diesem Wort liegt, an der Liebe, die die Menschen seiner Gemeinde als festes Band verbinden sollte. Mag sein, dass er die Liebe auch deshalb so betonte, weil sie sich bei den Menschen, die er vor Augen hatte, doch nicht so einstellt wie er das für nötig hielt und gerade deshalb so häufig darauf verweisen musste. Doch wie dem auch sei, sicher ist das die Macht der Liebe – und nicht nur der Worte, sondern auch der Tat – für die Christen der ersten drei Jahrhunderte der Zentralwert ihrer Verkündigung, ihr Markenzeichen gleichsam, war. Das mussten auch die heidnischen Schriftsteller, die sich kritisch mit der neuen Religion auseinandersetzten, einräumen. Nicht zu Unrecht hat man das Christentum jener Zeit auch als Evangelium der Liebe und der Hilfeleistung genannt. Denn bei den Christen war es anders als bei den Anderen. Sie halfen einander und unterstützten Witwen und Waise. Sie praktizierten eine kaum bekannte Gastfreundschaft, auch und gerade Fremden gegenüber. Sie setzten ungewollte Kinder nicht aus – in der Antike alles anders als selbstverständlich. Sie beteten gar für ihre Feinde und die, die sie verfolgten. Sie kannten keine Schranken nationaler und ethnischer Zugehörigkeiten. Und all das aus einem Grund: weil sie Gott als die allumfassende Liebe kennengelernt und erfahren hatten. Gott ist die Liebe – das war so etwas wie die Kurzformel der neuen Religion, darin lag – um mit Tamikas Taufspruch zu sprechen – das Geheimnis wie die Weisheit des Christentums. Diese Liebe war so etwas wie die Sprache der ersten Christen – eine Sprache, die sich nicht nur bei Johannes, sondern auch bei Paulus: Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts, schreibt er einmal. Auch er hätte dem Satz des Johannes wohl zustimmen können: „Wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott; denn Gott ist die Liebe.“


Auch im Evangelium haben wir eben von der Liebe gehört, von dem großen Dreiklang der Liebe, der sich in Jesu Wort an den ihn fragenden Schriftgelehrten findet: Gottes Liebe, Nächstenliebe und schließlich – versteht mich nicht falsch bei dem Wort – die Selbstliebe, vielleicht sagen wir auch besser: Selbstachtung. „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten so wie dich selbst.“ Das gehört in diesem Wort Jesu, mit dem er das Alte Testament zitiert zusammen: Gottesliebe, Nächstenliebe und dann auch das Dritte: den Nächsten lieben wie sich selbst. Den Nächsten anzuerkennen als ein Geschöpf Gottes, so wie man sich selbst als Geschöpf Gottes angenommen weiß. Ihn zu lieben aus der Freude darüber, dass er wie ich von Gott angenommen ist. Gott und den Nächsten aus ganzem Herzen anzunehmen, weil man sich selbst von Gott geliebt weiß, weil wir wissen können, dass wir – wie es auch im 1. Johannesbrief heißt – Gottes Kinder sind.


Liebe – das mag uns dann aber auch oft ein abgegriffenes, manchmal fast klebriges Wort zu sein. Viel zu oft gebraucht und missbraucht: reduziert allein auf das Geschlechtliche, missbraucht für Ideologien und Nationalismen, ins Triviale gezogen: „Aus Liebe zum Automobil“, so die Werbung eines großen
Autokonzerns. Und doch gibt es kein Wort, in dem sich mehr die Sehnsüchte wohl aller Menschen, in dem sich unsere Sehnsüchte nach Heimat und Geborgenheit, nach Aufgehobensein gleichsam bündeln.


„Die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren; denn Gott ist die Liebe“, so heißt es nur wenige Verse nach unserem Predigttext im 1. Johannesbrief. „Wer liebt, der ist von Gott geboren“ – das heißt doch: die Liebe ist ein Spiegel der göttlichen Liebe uns gegenüber. Sie ist nicht erkauft, kann nicht gemacht werden, sondern sie ist da. So wie zwischen zwei Menschen, die ihr Leben miteinander verbringen wollen; auch so wie eine ganz unverbrüchliche Freundschaft; so wie die Liebe, die Eltern ihren Kindern, Großeltern ihren Enkeln entgegenbringen. Sie fragen nicht warum und machen viele Worte. Nein, sie lieben. Da, wo Menschen einander so annehmen und lieben können, nicht berechnend, nicht auf den eigenen Vorteil oder Genuss kalkulierend, da sind Menschen aus Gott geboren. Wo Menschen einander annehmen, so wie sie von Gott angenommen sind.


Gewiss, Liebe muss sich auch in den Untiefen des Alltags bewähren, den Kleinigkeiten standhalten. Das wissen und erfahren wir wohl jeden Tag.
Und doch: Wer liebt, der ist von Gott geboren. Wer liebt, der ist nicht nur mehr auf dieser Welt, sondern sieht einen Abglanz zumindest des Lebens aus und in der Wirklichkeit, die wir Christen Gott nennen. „Gott ist die Liebe“, so schreibt Johannes. Gott ist der gütige Grund, dem alle Liebe entstammt und die so über diese Welt hinausweist. Gott ist der Grund, der uns ahnen lässt, das unsere Welt und unser Personsein nicht aufgeht in den Sorgen und Verstrickungen des Alltags, an denen wir und manchmal auch unsere Liebe zu anderen zu zerbrechen scheint. Gott ist der Grund unseres Lebens und Liebens, der uns trägt auch dann, wenn wir es nicht zu merken scheinen. Weil er uns so trägt und liebt, darum können auch wir anderen Stütze und Hilfe sein, können auch wir lieben. Dass wir uns Gott unendlich wertvoll sind, ohne all unser Zutun, macht uns frei zum Leben und zur Nächstenliebe. Wer wirklich liebt, ohne Berechnung und Hintergedanken, der hat Teil am göttlichen Leben.


Allerdings nagt da nicht nur der Zweifel, sondern doch auch ein Unbehagen, wenn von Gott nur als die Liebe gesprochen wird. Denn ich weiß ja von all den Situationen, die so liebesfern sind. Ich weiß von den Verwerfungen in den Lebensgeschichten von Menschen, ich weiß von dem Leid, dem Rätselhaften, dem Unverständlichen, das geschieht und das sich nicht einfach in Einklang mit Gottes Liebe bringen lässt. Erklären kann ich das nicht. Manchmal kann Gott mir auch zur dunklen Rätselmacht werden, den ich nicht verstehe, dessen Wege – wenn es denn seine Wege sind – mir nicht einleuchten.


Und ich kann – das käme mir auch unfromm, ja gottlos vor – diesen Widerspruch nicht rational aufklären. Gott hat auch eine dunkle, rätselhafte Seite, die mir verborgen bleibt. Ich sehe im Spiegel gleichsam ein dunkles Bild.


Der Autor des 1. Johannesbriefes wusste darum, und eben darum verweist er auf Jesus Christus als eben jenen Menschen Gottes, der ganz aus und in der Liebe Gottes lebte, und dem eben diese Liebe zum Tode wurde, zum Tod am Kreuz. In dieser Geschichte erweist sich, dass Gott – welch ein Paradox! – da die Liebe ist, wo er der Tod ist. Gott ist da, wo ein Mensch nicht von Gott lassen kann, auch im verzweifelten Schrei des Sterbenden. Er ist da, weil Gott diesen Menschen in der Erlösung, in der Erhöhung, in der Auferstehung gerade nicht aus seiner Hand fallen lässt. Gott ist da die Liebe, wo ein Mensch im Leben und Sterben auf ihn vertraut und für dieses Vertrauen alles, aber auch alles riskiert.


Für den Briefschreiber Johannes ist das letzte und tiefste Zeichen dieser göttlichen Liebe, in der wir unseren Grund und unseren Sinn finden können, dass Jesus auf die Erde gekommen ist: „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.“ Jesu Weg und Geschichte sind ein Spiegel des göttlichen Herzens für uns – ein Spiegel und unvergängliches Urbild der göttlichen Liebe zu uns. In den Momenten unseres Lebens, in denen es uns gut geht und wir fröhlich sind, aber auch dann, wenn wir nicht weiter wissen, uns von Gott verlassen fühlen und nichts, gar nichts von seiner Liebe zu uns zu spüren meinen. Und doch liegt in Weg und Geschichte Jesus gerade auch diese Verheißung, dass Gott uns auch in unserer tiefsten Verlassenheit wie in unserer größten Freude nicht verlässt. In ihm und durch ihn sind wir nicht getrennt von Gott, sondern haben Teil am göttlichen Leben.


Eben dieses Anteilhaben an Gott in Jesus Christus kommt in der Taufe zum Ausdruck – so wie wir es vorhin bei Tamika gesehen und gehört haben: „Nimm hin das Zeichen des Kreuzes auf der Stirn und an der Brust – du gehörst zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen.


Dass Gott uns wider alle Realitäten und Wahrscheinlichkeiten einen unendlichen Wert zuspricht, der nicht verloren gehen kann, darin liegt die Macht der Liebe, die in uns bleiben und durch uns wirken will, denn:


„Die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren; denn Gott ist die Liebe“. Genau darin liegt – jeder muss für sich immer neu erkunden und entdecken – das Geheimnis und die Weisheit, die in Christus Jesus verborgen ist.



Amen.

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