2016-09-04 - 15. Sonntag nach Trinitatis - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: 1 Petr 5, 5c-11)


5c Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.

6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.

7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. 8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.

9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Segenswunsch und Grüße
10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.

11 Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.



Liebe Gemeinde,

 

Sorge dich nicht, lebe! So könnte man auf einen einfachen Nenner die Texte und Lieder bringe, die uns bisher in diesem Gottesdienst begegnet sind: Jesu großartige, fasst poetischen Worte über das Nichtsorgen in der Bergpredigt, die in den wunderbaren Bildern von den Vögel und den Lilien auf dem Felde einmünden. Wie ein spätes Echo, eine mahnende Zusammenfassung haben wir das auch in der Epistel gehört, verdichtet in zwei Sätzen, die früher als Konfirmationssprüche äußerst beliebt waren: „Gott widersteht dem Hochmutigen, aber dem Demütigen gibt er Gnade“ und – zugleich als Wochenspruch: Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“


Sorge dich nicht, lebe. Das klingt freilich dann doch zu simpel, widerspricht zu sehr unserer Lebenserfahrung. Reichlich naiv, sich nicht sorgen zu sollen. Und leichter gesagt als getan. Es gibt vielfältige Anlässe zu Sorgen und Planen: das eigene Leben, die Kariere, den Schulbesuch der Kinder, die Sorge für ein ausreichendes Einkommen, auch im Alter. Wer wollte dieses berechtigte Anliegen einfach beiseite wischen. Das ginge zu leicht, ja es wäre leichtfertig. Sorge dich nicht, lebe! Das klingt doch ein wenig nach etwas simpler Lebens- und Motivationsstrategie – ein bisschen zu sehr nach Dale Carnegie und der Lebensberatungs- und Esoterikecke in Großbuchhandlungen.


Nun liegt in unserem Leben aller Sorge die Angst zu Grunde, es könnte einem durch das, was kommen kann und im Leben vorfällt, Eigenes, Wesentliches genommen oder Zustehendes vorenthalten werden. Es ist immer einer Angst vor dem Verlieren. Sorglos leben wir allein in den Verhältnissen, deren Verlässlichkeit wir vertrauen – eben unbesorgt.


Jesus selbst lebte offensichtlich in einer bedürfnislosen Sorglosigkeit um sich selbst. Diese Unbekümmertheit um sich rührt wohl her aus einer inneren Ruhe, daraus, in sich gefestigt und v.a. in Gott gegründet zu sein. In einem unerschütterlichen Einvernehmen mit Gott lebte er das Nichtselbstverständliche ganz selbstverständlich: dass ein Leben im Guten unbegrenzter Versöhnung real möglich, dass Heil, unverstelltes Leben in Übereinstimmung mit Gott hier möglich ist. So war er zweifellos überzeugt, dass Menschen alle Vorbehalte und Befürchtungen hinter sich lassen können, weil Gottes Güte niemanden ausschließt. Diesem Leben, diesem Reich Gottes gegenüber hatte alles Übrige, was im tag-täglichen Leben vorkommt, verständlicherweise jedes Interesse verloren. Und insofern dieses Übrige doch zum Leben unentbehrlich ist, hielt er es für zufällig gegeben oder geschenkt. Jesus gewann daraus, bei allem Schweren, das sein Ende umgibt und um das er schon früh wusste, ein gelebte Sorglosigkeit, eine gegründete Leichtigkeit des Lebens, in und durch die Jesus sich an der schlichten Schönheit der Natur, ja sich von ihr zu eigener Freude erwecken ließ. Um sich auf diese Weise sorgenfrei dem Leben und der alles umfassenden Güte Gottes zu überlassen – eine Einstellung, die ihn dann auch durch das Leiden trug – nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe, betet Jesus in Gethsemane.


Auch der Aufruf zur Sorglosigkeit im 1. Petrusbrief ist alles andere als naiv. Man erkennt unschwer, dass die Adressaten dieses Brief unzähligen Anlass zur Sorgen hatten. Nicht allein wegen der Randexistenz als verfolgter religiöser Minderheit, sondern wegen schwerer Konflikt innerhalb der eigenen Gemeinschaft.
Deshalb verbindet sich der Ruf zu einer auf Jesus orientiert, in ihm fundierten Sorglosigkeit mit dem Ruf zur Demut.


Damit ist aber alles andere als Unterwürfigkeit oder geradezu fatalistische Resignation gemeint. Demut ist ein genuin christlicher Begriff, der mit dem Glauben an Gott unmittelbar zusammenhängt; er ist nicht Tugend, sondern Lebenshaltung: Der Demütige ist der Mensch, »der seine Grenze an Gott gefunden hat«. Demut heißt hier den Platz erkennen und ausfüllen wollen, den Gott einem Menschen gibt. Demut heißt die Zweideutigkeit, die Gebrochenheit meines Lebens stehen lassen zu können, nicht immer hetzen zu müssen, nach Erfüllung, nach Ganzheit, als hätte ich das allein in der Hand Allerdings, diese Art von Sorglosigkeit, von der Demut nimmt die Sorge als Grundbefindlichkeit des Menschen ernst. Die Sorge rührt ja draus, dass unsere Existenz vielfachen Gefährdungen ausgesetzt ist. Unsere religiösen Texte wischen das gerade nicht weg – sie wären sonst ein falscher, ja trügerischer Trost. Unser Leben bleibt angefochten, bedroht, immer prekär. Aber die Sorge verstärkt diese Brüchigkeit noch, sie macht den Menschen zu einem in sich selbst verkrümmten, nur noch um sich selbst kreisendes Wesen. Sorgen gehören zu unserer Existenz, aber sie können uns so gefangen nehmen, dass wir die Welt um uns herum, die Menschen, die uns gegeben sind und schließlich uns selbst verlieren.

 

In dem Lied, das wir vorhin gesungen haben, wird das anschaulich, schon morgens, im Bett sich von den Sorgen gefangen nehmen zu lassen:


Was helfen uns die schweren Sorgen,
was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, daß wir alle Morgen
beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
nur größer durch die Traurigkeit.


Das klingt nach geballter Lebenserfahrung: – umso erstaunter, dass Georg Neumark gerade einmal 20 Jahre alt war, als er dieses Lied schrieb.


Er selbst erzählt die Entstehungsgeschichte 16 Jahre später, als er eine Sammlung von eigenen Gedichten und Kompositionen herausgibt. Da, 1657, war der Große Krieg schon vorbei, in den er 1621 in Langensalza in Thüringen hineingeboren wurde, aber 1641, da war er noch in vollem Gange, und ein Ende noch nicht abzusehen. Neumark kannte es nicht anders, als dass Krieg war, und die Zeiten unsicher. In Gotha war er zur Schule gegangen und machte sich nach erfolgreichem Abschluss im Jahr 1640 nach Königsberg auf, um dort Jura zu studieren. Man war damals zu Fuß unterwegs. Georg Neumark schloss sich um der größeren Sicherheit willen Handelsreisenden an, die die Leipziger Messe besucht hatten und wie er nach Norden wollten. Doch alle Vorsicht half nichts, der Tross wurde überfallen, Georg Neumark wurde ausgeraubt, verlor die wertvollen Bücher, seine Kleidung, sein Geld. Sein Leben konnte er retten, aber es bleibt ihm nichts außer einigen Empfehlungsschreiben. Auch die heißgeliebte Gambe ist weg. Es ist Herbst, der Winter rückt näher und Georg Neumark schlägt sich über Magdeburg und Lüneburg schließlich nach Hamburg durch. Nirgendwo findet er eine Anstellung, mit der er sich hätte über Wasser halten können. An die Finanzierung eines Studiums ist gar nicht zu denken. Schließlich landet Georg Neumark Anfang 1641 in Kiel, mit nichts mehr als dem, was er auf dem Leib trägt. In seinen Erinnerungen schreibt Neumark vierzig Jahre später: „So wurde ich so melancholisch, dass oftmals ich des nachts in meiner Kammer den lieben, barmherzigen Gott mit heißen Tränen kniend um Hilfe anflehte."


Da, endlich lacht Georg Neumark wieder das Glück. Es wird in Kiel überraschend die Stelle eines Lehrers frei, weil sich der Stelleninhaber nach einer Verfehlung aus dem Staub gemacht hat. Georg Neumark erhält die Lehrerstelle und bleibt zwei Jahre in Kiel, bis er das Geld für sein Studium zusammen hat. Noch an dem Tag, an dem er seine Stelle als Lehrer antritt, hat Georg Neumark sein Lied gedichtet und komponiert: „Wer nur den lieben Gott lässt walten". Später studierte er tatsächlich Jura, widmete sich aber immer auch der Poesie und der Musik. Er arbeitete später am Weimarer Hof. 1681 ist er in Weimar gestorben. Sein Lied wurde vielfach übersetzt und fand weltweit Verbreitung. Bis heute ist es rund um den Globus in Gesangbüchern zu finden.


Starke Bilder und deutliche Stichworte eröffnen die Möglichkeit, eigene Erfahrungen in das Lied einzutragen. Und zu guter Letzt die leise Befriedigung, dass es ja stimmt: Wer warten kann und die Hoffnung nicht verliert, der wird erfahren, dass Gott ihn versorgt und nicht verlässt:


Man halte nur ein wenig stille
und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unsers Gottes Gnadenwille,
wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.


Da ist es übrigens weder, jenes jesuanische Motiv des „Sorget nicht, vertraut Gottes Fürsorge! Er wird für euch sorgen, so wie er für die Lilien auf dem Feld und für die Vögel am Himmel sorgt. Eben: Wer nur den lieben Gott lässt walten…


Und doch werden auch hier unsere Sorgen nicht einfach entsorgt, sondern ernst genommen: Die unruhige Seele ist mit dem Begriff „Drangsalshitze“ in der 5. Strophe wunderbar beschrieben – man spürt förmlich die Erregung, die Wut, die einen hochroten Kopf macht und ein hitziges Gemüt – man hört die Vorwürfe, die Selbstanklagen, die Vergleiche – „Verrenn dich nicht in solchen Gedanken“, mahnt das Lied, und möglicherweise verarbeitet Neumark da seine eigene Wut, seine Hilflosigkeit und Verzweiflung nach dem Überfall, der ihm ja seine ganze Lebensplanung über den Haufen warf: „So kommt Gott, eh wirs uns verseh’n, und lässet uns viel Guts gescheh’n – Die Folgezeit verändert viel und setzet jeglichem sein Ziel.“


Neumarks Lied soll dabei besonders ein Mutmachlied sein, ohne dabei schlicht und naiv zu wirken. Es weiß vielmehr um die Kraft des Singens, das manchmal fröhlich und manchmal auch ein trotziges Gegenansingen ist. So habe ich es mit diesem Lied, und gerade der letzten Strophe, auch schon in manch trostlosen Situationen erlebt. Ich erinnere mich gut an die Begleitung eines Mannes, dessen Frau mit 47 qualvoll an Krebs gestorben war. Ich hatte die Familie die letzten 10 Tage zu Hause begleitet. Sie wollte – so der Wunsch der Frau – zu Hause sterben, bei ihrem Mann, ihrem Kind und all den Menschen, die sie dann noch nach Hause einlud. Sie war nicht eigentlich fromm, kannte aber aus ihrer Kindheit in einem Pfarrhaus die Lieder unseres Gesangbuches. Dieses von Neumark hatte sie sich für die Trauerfeier gewünscht – und so haben wir es gesungen. Noch am Abend der Beisetzung schrieb mir der Mann, auch er kein frommer Kirchgänger, es sei dieses Lied und diese Strophe, die ihn Halt gegeben hätten an diesem Tag, ja, er ertappe sich dabei, wie er sie den ganzen Tag im Ohr habe:


Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verläßt er nicht.
Ob man dann darin nicht auch Gottes tröstende Stimme erkennen kann?


Sorge dich nicht, lebe, finde deine Bestimmung: vor dem Hintergrund von Evangelium, Epistel und dem Lied von Neumark ist das dann keine leere Formel, keine simple Lebensberatung, sondern erfahrungs-, glaubensgesättigt. Man mag auch dieses Gottvertrauen noch naiv nennen, dann aber allenfalls im Sinne einer gleichsam zweiten Naivität, die sehr genau um Anfechtung und Zweifel und Leid weiß und diese ernst nimmt. Und die dann doch darauf glaubt und hofft, dass wir Menschen weder einem namenlosen Schicksal noch einem grausamen Gegengott ausgeliefert sind, sondern bei Gott bewahrt bleiben, weil uns in diesem Vertrauen jene Worte gelten, mit denen der 1. Petr seine Gedanken über Demut und Sorge schließt:


Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen!



Amen.

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