(Predigttext: Röm 10, 9-17)
9 Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.
10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.
11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.«
12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.
13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). Israel hat keine Entschuldigung
14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?
15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!«
16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?«
17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.
Liebe Gemeinde!
Ich kann mich noch gut an das Weihnachtsfest 1980 erinnern. Denn damals wurde ich in meinem Grundfest erschüttert. Das lag nicht an dem Geschenk. Ich bekam einen roten Triebwagenzug von Lego für die elektrische Eisenbahn. Das war ein tolles Geschenk, und ich habe es heute noch auf meiner Legoeisenbahnplatte in der Garage neben meinem Büro – er fährt noch immer bestens. Nein, am Geschenk lag es nicht, dass ich in eine echte Krise gestürzt wurde. Es lag vielmehr an einem kleinen Preisschild, das noch auf der Verpackung zu sehen war. „Schild“ stand da drauf – das war das Kaufhaus in unserer Stadt mit tollen Spielzeugabteilung, in der ich gerade diesen Zug in den vergangenen Wochen immer bewundert hatte – und ein Preis, 99,90 Deutsche Mark. Meine Mutter hatte offensichtlich beim Einpacken vergessen, das Preisschild zu entfernen.
Auch das mag man nicht als weiter schlimm ansehen – eine kleine Achtlosigkeit, die beim weihnachtlichen Einpackmarathon schon mal passieren war. Für mich war es aber die Bestätigung eines schon länger in mir wohnenden Zweifels: es gibt gar keinen Weihnachtsmann, alles nur eine Erfindung. Meine Mutter versuchte tapfer gegenzuhalten, aber für mich war es mit dem Weihnachtsmann jetzt vorbei, ein für allemal. Denn der kann ja nicht einfach bei Schild Spielzeug kaufen.
Heute, entwicklungspsychologisch geschult, weiß ich, dass ich damals in die sogenannte realistische Phase eingetreten bin. Geschichten vom Weihnachtsmann und vom Osterhasen – der spielte bei uns aber keine so große Rolle, was vermutlich auch an den deutlich bescheideneren Geschenken lag – aber auch Märchen verlieren ihre Faszinationskraft. Alles wird mit der Frage „Gibt es das auch wirklich?“ belegt. Das ist wichtig und gut so, entwickelt sich in den folgenden Jahren noch stärker. Die Welt wird gewissermaßen entzaubert, ihre Rationalitäten und Zusammenhänge werden klar. Man glaubt eigentlich nur noch das, was man sehen und anfassen kann. Märchen z. B. werden zu Kinderkram, bestimmtes Spielzeug verliert seinen Reiz usw.
Natürlich – oder hoffentlich – lernt man, dass diese vermeintlichen Rationalitäten auch nicht das Maß aller Dinge sind, dass man nicht alles sehen, messen, wiegen und erfassen kann, dass die Welt arm ohne die großen Geschichten und Erzählungen wäre. Märchen z. B. kann man, wissend um ihren fiktiven Charakter, auch als Erwachsener mit viel Gewinn lesen, gerade unter psychologischer Perspektive. Aber davon wusste ich damals, weinend unter dem Weihnachtsbaum, natürlich nichts.
Allerdings begegnen einem immer wieder Menschen, für die der christliche Glauben auf der gleichen Ebene wie der Glauben an Weihnachtsmann und Osterhasen. Es sind ja schöne Geschichten, die da in der Bibel stehen, sagen sie wohl, und wir möchten sie auch nicht missen. Aber all die vielen Wunder, die sind doch ganz unwahrscheinlich. Das sind eher Märchen für Kinder, die noch keine sieben Jahre alt sind, so meinen sie. Und dann erst die Geschichte, dass Jesus, der am Kreuz gestorben war, plötzlich wieder lebendig geworden sein soll – nein, das kann doch ein erwachsener Mensch nicht glauben, schon gar nicht wenn er das Sterben eines lieben Angehörigen miterlebt hat. Aber dann kommt Paulus und setzt noch eins drauf: Man soll das sogar von ganzem Herzen glauben, schreibt er. Nur vom Hören, nicht vom Segen und Anfasse. Aber genau das würden wir doch sehr gerne, sehen, anfassen und dann, ja dann vielleicht auch glauben.
Allerdings muss man hier gleich innehalten. Denn zum christlichen Glauben und einem Leben aus Gott gehört nicht zwingend die Überzeugung, dass Gott einerseits die Natur nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten ordnet, die dann mir nichts dir nichts ebenso schnell mal wieder über den Haufen wirft.
Auch die Geschichte der Auferstehung gibt dafür genau besehen wenig her. Denn wie das genau passiert ist, wird nirgends im Neuen Testament beschrieben. Paulus selbst sagt darüber nur, dass der Auferstandene den Jüngern und ihm selbst erschienen sei. Nichts Näheres. Gemeint ist wohl: Ihm ist ein Licht aufgegangen, dass Jesus von Gott aufgenommen ist. Gott hat sein Lebenswerk bestätigt, er steht zu ihm. An anderen Stellen geht es leibhaftiger zu, aber Jesus selbst betont dann gegenüber Thomas, der sehen und anfassen will, dass gerade der selig ist, der nicht anfassen und sehen kann, sondern trotzdem glaubt. Das ist dann ziemlich genau unsere Situation.
Uns kann es eher wie Paulus gehen. In der Begegnung mit Christus. Das Licht, das von Gott kommt und Paulus und vielleicht auch uns aufgeht – ganz ohne Anfassen und Sehen, nur im Hören - auch das bleibt nicht ohne Wirkung. Weil das Gehörte nämlich dann in der Anwendung auf das eigene Leben von Bedeutung und so wirklich wird. Der auferstandene Christus ist geistig mitten unter uns. Durch ihn haben wir Zugang zu Gott. Sehen können wir Gott nicht, das stimmt. Aber wir sind doch auch keine siebenjährigen Kinder mehr. An Christus, der in der Geschichte wirklich gelebt hat, können wir erkennen, wie Gott uns gegenüber gesinnt ist.
Das ist mehr als bloß an ihn zu denken, mehr auch als ein Gefühl. Dass Christus uns die Tür zu Gott aufschließt, das bewegt uns dazu, uns fest auf diesen barmherzigen Gott zu verlassen, uns ihm restlos anzuvertrauen. Das aber können wir nur so tun, dass wir ihn ansprechen, zu ihm beten. Auch wenn er uns nicht immer unsere Wünsche erfüllt: Er macht uns reich auf seine Weise, indem er uns Lebensmut und Lebenskraft schenkt. So sich beschenken zu lassen, das ist Glauben.
Mit dem Herzen glauben, das heißt also nicht, dass wir den Verstand an der Kirchentür ablegen und nachher unberührt mit nach Hause nehmen sollen. Unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen, darauf vertrauen, dass wir durch Jesus Zugang zu Gott selber haben, dafür brauchen wir den Verstand gar nicht abzuschalten. Wir tun das nicht einfach so dahin, sondern, wie Paulus schreibt: Der Glaube kommt aus dem, was wir hören, aus der christlichen Predigt. Dabei ist nicht der Prediger oder die Predigerin wichtig. Es muss nicht einmal ein kirchlicher Amtsträger sein, sondern nur ein Mensch, der selber innerlich von Gott ergriffen ist. Der Glaube kommt aus dem Gehörten, und er wird ganz handgreiflich unterstützt durch die Sakramente und er gewinnt eine eigene Wirklichkeit und Kraft, weil es uns in den tiefsten Bereichen unsers Lebens heute trifft und etwas zu sagen hat.
Freilich macht Paulus sich dann gleich selbst einen Einwand. „Nicht alle haben auf das Evangelium gehört.“ Schon der Prophet Jesaja hatte geklagt: „Herr, wer glaubt denn unserem Predigen?“ Das ist also nichts Neues. Paulus hat damals wohl vor allem an seine jüdischen Landsleute gedacht. Die konnten sich zum großen Teil nicht vorstellen, dass dieser einfache Wanderprediger Jesus tatsächlich im Auftrag Gottes zu ihnen sprach. Heute ist Jesus für viele Menschen so weit in die Vergangenheit entrückt, dass er mit unserer modernen Welt scheinbar gar nichts mehr zu tun hat. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass immer weniger Menschen unsere Glaubensüberzeugung teilen. Ist die Zeit des Christentums vorbei? Sollen die Ratten das sinkende Schiff verlassen?
Nein, zur Panik besteht kein Anlass. Einmal ist es so, dass in anderen Teilen der Welt die Zahl der Christen wächst, zum Teil sogar rasant. Zweitens hängt Gottes Wahrheit nun wirklich nicht an der Zahl der Menschen, die sie glauben. Man kann sogar fragen, ob es denn überhaupt eine Zeit in der Geschichte gegeben hat, die man als durch und durch christlich bezeichnen kann. Zeiten, in denen die ganze Bevölkerung eines Landes zur Kirche gehört hat, ja, die gab es, aber wir wissen nicht, wie viel davon auch nur Konvention gewesen ist. Das Ideal eines christlichen Staates, als der auch Südafrika sich ja einmal bezeichnete, war nicht immer dadurch gekennzeichnet, dass es besonders christlich zuging – um es sehr vorsichtig auszudrücken.
Auf alle Fälle ergreift Gott durch Jesus auch heute die Herzen von Menschen, so dass sie „von Herzen glauben“, wie Paulus das genannt hat. Dazu können wir uns dazurechnen, das tun wir, mal mehr oder weniger, oder wir sehnen uns wenigstens danach, das tun zu können.
Als erwachsene Menschen sind wir gewohnt zu prüfen, bevor wir uns auf etwas wirklich einlassen. Und wenn uns das Leben arg mitspielt, dann ist auf einmal nichts mehr selbstverständlich, dann steht alles noch einmal auf dem Prüfstand. Das ist normal. Und doch verlangt der Glaube auch dann keine unnatürlichen Klimmzüge von uns. Gott ist uns nahe, selbst wenn wir meinen, er sei weit weg und vielleicht überhaupt nicht mehr da. Er schenkt neue Gewissheit, auch wenn es manchmal eine ganze Weile dauert.
Und noch ein letzter Punkt. Paulus schreibt, dass zum Glauben mit dem Herzen auch das Bekennen mit dem Mund gehört. Das zu akzeptieren fällt vermutlich vielen von uns nicht leicht. In unserer westlichen Kultur ist Religion, der Glaube, weithin zur Privatsache geworden. Darüber zu sprechen ist auch vielen sehr bewussten Christen ausgesprochen peinlich. Es erscheint uns einfach zu intim. Und wir haben auch gute Gründe dafür, denn es gibt durchaus Missionsstrategien, die mit der Brechstange daher kommen, die nur mit Angst arbeiten oder einfach aufdringlich und unangemessen sind und so der Ausbreitung des Christentums mehr schaden als nützen.
Von manchen unserer schwarzen Mitbürger können wir da lernen. Manche gehen unbefangener damit um, selbstverständlicher. Ich erlebe das bei Besuchen etwa im Krankenhaus, wenn ich mit meinem Kollarhemd unterwegs und so als Pastor gut zu erkennen bin.
Auch zur Zeit des Paulus war man da unbefangener. Auch damals gab es schon wie heute viele Religionen, und die Christen waren entschieden in der Minderheit. Aber über Religion zu sprechen war damals natürlich. Allerdings für die Christen war es gefährlich. Zwar wurden sie in dieser frühen Zeit noch nicht verfolgt. Aber Schikanen und Mobbing waren sie durchaus schon ausgesetzt. Also wo wir an Peinlichkeit denken, da mussten die Menschen damals wirklich ungemütliche Situationen befürchten. Trotzdem schreibt Paulus: Ohne Bekennen mit dem Mund kann man kein Christ sein.
Mancher denkt vielleicht trotzdem: Ich lasse das lieber bleiben, weil ich doch gar nicht weiß, wie man sich da korrekt ausdrückt. Aber was heißt „korrekt“? Wir haben keinen Papst, der uns da Vorschriften macht. Wir haben die Bibel, in der viele Christen auf ganz unterschiedliche Weise beschreiben, was Christus für sie bedeutet. Und wir sind eine Gemeinde, in der wir uns austauschen können. In unseren Gottesdiensten, den Kreis und Diensten. Wir alle geben uns redliche Mühe, für unseren Glauben angemessenen Ausdruck zu finden. Aber niemand von uns ist da perfekt, auch der gelehrteste Theologe nicht. Darauf kommt es auch gar nicht an. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Jesus hat das einmal gesagt! Und dann gibt es keinen überzeugenden Grund, den Mund zu halten, sondern Menschen unaufdringlich und persönlich, liebevoll und sanft einzuladen zu dem, er zu uns spricht: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Denn ich will euch erquicken.“
Amen.