2016-10-02 - 19. Sonntag nach Trinitatis - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: Eph 4, 22-32)



22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.

23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn

24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.

26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen

27 und gebt nicht Raum dem Teufel.

28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.

29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.

30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.

31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.

32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.



Liebe Gemeinde,


es gibt biblische Texte, da brauche ich immer ein bisschen, bis der Groschen fällt und mir ein Licht aufgeht. Manche Texte gehen mir leicht von der Hand, ich habe sofort Ideen, kann sie anwenden in meinen Erfahrungen. Und andere verstören mich, ärgern mich. V.a., wenn ich das Gefühl habe, hier wird die Moralkeule rausgeholt, hier wird gesagt, so und so und nicht anders habt ihr als Christen zu sein und zu leben. Und wenn dann noch mit dem Teufel gedroht wird, dem man keinen Raum geben soll, dann bin ich zwei Mal vorsichtig, weil ich ziemlich genau weiß, wie dieses Bild des Bösen missbraucht worden ist und noch bis heute missbraucht wird, um andere Meinungen und Lebensweisen zu diskreditieren.


Insofern, das sage ich ganz, habe ich etwas gebraucht, um mich in diese Worte einzufinden. Geholfen hat mir ein Gespräch mit unseren Studenten am vergangenen Mittwoch. Es war eins dieser – darf ich das so sagen – typischen Gespräche, die wir in Südafrika manchmal führen. Natürlich ging es um die sogenannten Proteste an den Universitäten – das scheinen ja dieses Jahr wirklich eher kleine und äußerst gewaltbereite Minderheiten zu sein. Es gib um die Fragen, warum man eigentlich der Meinung ist, man muss Autos anzünden und Menschen verletzen, um seine Forderungen durchzusetzen. Warum kann man nicht friedliche Formen des Protests wählen? Warum kann man eigentlich nicht auch andere Standpunkte gelten lassen? Warum soll der Appell an die Vernunft auch beim Protest eigentlich falsch sein, weil Vernunft ja nur ein westliches Konzept sei, das man eben jetzt auch dekolonialisieren müsse?


Und es ging darum, wie nicht nur die Studienplanung für das Jahr durcheinander gerät, sondern wieder etwas insgesamt ins Wanken kommt, auch mit Blich auf die Zukunft, die man sich als junger Mensch erhofft in diesem Land? Das macht mich oft nachdenklich und dann v.a. traurig. Zugleich bewundere ich die jungen Menschen, auch unsere Studenten, wie sie mit diesem Druck umgehen, wie sie nicht in einfache Denkmuster und Schuldzuschreibungen verfallen, sondern einfach ihre Zukunft gestalten wollen, auch hier, in unserem Land. Ja, es muss sich noch viel ändern in diesem Land, es gibt große Problem, es gibt auch Folgen der Apartheid, die bis heute nicht aufgearbeitet sind, politisch, wirtschaftlich und vielleicht am Meisten im Bewusstsein der Menschen. Aber wir wollen das gemeinsam Tun. Gewalt und das gegenseitige Schuldzuschieben kann aber keine Lösung sein.


Dabei ist mir ein Licht aufgegangen auch mit Blick auf diesen Text. Denn auch hier geht es zunächst um das Stichwort Veränderung. In der Gemeinde, an die hier geschrieben wird, wird dabei wohl zunächst an die Taufe gedacht, wie sie in der alten Kirche der ersten Jahrhunderte praktiziert wurde: Man legte seine alten Kleider ab, stieg (im Hemd) ins Taufbecken und erhielt ein weißes Kleid, als man wieder aus dem Wasser herausstieg. Wenn Menschen dann neu sind durch die Taufe, erneuert, weil der alte Mensch im Wasser ersäuft wird und ein neuer Mensch aus der Taufe herauskommt, von Gott neu gemacht, ganz zu seinem Herrn Jesus Christus gehörend, dann wäre es in der Tat verwunderlich, wenn sie so blieben, wie sie zuvor waren. Dann sind sie neue Menschen, ganz neue Menschen, die durchaus anders sein können, als sie bisher waren, anders leben können, anders denken und sprechen und tun.


Natürlich das leichter gesagt als getan. Der alte Mensch ist nicht einfach weg. Veränderung geschieht auf langsam, sie ist ein Prozess. Luther selber hat das bekanntlich gerade mit Blick auf die Taufe so gesehen und davon gesprochen, dass mein alter Mensch täglich neu ersäuft werden müsse.
Das ist übrigen in Staate und Gesellschaften oft auch so, jedenfalls dann, wenn ein Wandel nicht mit blutiger Revolution und langem Bürgerkrieg einhergehen soll, was uns hier ja Gott sein Dank erspart geblieben ist. Die neuen, demokratischen Formen tun es allein nicht, sondern es kommt eben auch auf die Haltung, den Geist an, mit denen man sich in ihnen bewegt.


Aber wie werde ich neu? Wie ziehe ich diesen neuen Menschen an? Da kann es ja nicht mit Appellen getan sein? Da reicht doch nicht ein tu dies nicht, tu das nicht? Hinter diesen Fragen spüre ich eine Sehnsucht, die sich auch in diesem Predigttext wiederfinden lässt. Natürlich speist sich diese Sehnsucht auch aus der schmerzhaften Erfahrung, dass so vieles anders ist als ich es mir vorstelle, auch aus der Perspektive meines Glaubens heraus.


Diese Sehnsucht, ein neuer Mensch zu sein, rahmt die Ermahnungen des Textes gleichsam ein. Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist, heißt es am Anfang. Ähnlich auch am Ende: Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus. Das ist für mich ein wichtiger Hinweis. Es kommt nicht auf unsere Vollkommenheit an, sondern dass wir uns und bei den anderen unsere Unvollkommenheit eingestehen und vergeben. Nicht in der Vollkommenheit, aber in der Bereitschaft zur Annahme und Vergebung sollen wir Gottes Ebenbild sein.


Bemerkenswert ist ferner, dass die Mahnungen nicht nur sagen, was man nicht tun soll. Sie zeigen eine Verhaltensalternative. Das beginnt mit der Überschrift: Man soll nicht nur den alten Menschen ablegen, man soll positiv den neuen Menschen anzuziehen. Negativ wird verlangt, nicht zu zürnen, positiv, die Sonne über dem Zorn nicht untergehen zu lassen. Negativ wird gemahnt, kein böses Wort zu sagen, positiv, ein gutes Wort zu sagen, das den anderen stärkt! Negativ wird geboten, nicht zu stehlen. positiv, so zu arbeiten, dass man vom Ertrag Notleidenden geben kann Die Mahnungen mit solch einer positiven Wendung haben drei Schwerpunkte: Aggressivität, Wahrheit und Besitz. Der erste Schwerpunkt der Mahnungen ist unsere Aggressivität. Es heißt nicht wie in der Bergpredigt: „Wer seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig!“ – was man so missverstehen könnte, als sollten Menschen überhaupt nicht zornig sein. Das ist unmöglich. Privat und auch mit Blick auf Politik und Gesellschaft. Es gibt manchmal gute Gründe, zornig zu sein. Zorn wird nicht einfach als sündhaft verboten. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass wir zornig und wütend sind. Das lässt sich nicht vermeiden. Eine andere Sache aber ist, wie weit wir unserem Zorn Einfluss auf unser Verhalten einräumen! Dazu gibt der Epheserbrief den Rat: „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen!“ Ich würde etwas realistischer sagen: Lasst sie wenigstens einmal über eurem Zorn untergehen! Überschlaft das Ganze noch einmal – und dann erst entscheidet, was ihr tut. Aber im Grundsatz hat der Epheserbrief recht: Lasst den Zorn nicht endlos in euch schmoren! Versucht ihn zu beenden. Er vergiftet emotional euer Leben. Selbst wenn wir immer wieder dahinter zurückbleiben, müssen wir an dem Ziel festhalten, unsere Aggressivität zu bewältigen – um des Zusammenlebens willens. Da ist Gottes Stimme nötig: damit unsere Verstrickungen und unsere Schuldgeschichten und Kleinkriege uns nicht ins Verderben führen.


Der zweite Schwerpunkt ist die Verpflichtung zur Wahrheit, zur Aufrichtigkeit. Wahrheit kann allerdings manchmal wehtun. Deshalb ist manchmal einfach, sich um sie drücken. Wir tun das, um uns selbst zu schonen oder manchmal auch, weil wir meinen, andere könnten die Wahrheit vielleicht nicht ertragen. Aber: Wenn wir neue Menschen sind, von Christus in der Taufe neu gemacht, dann können wir das Alte ablegen. Dann müssen wir nichts Übles reden, dann können wir die Wahrheit sagen, und die ist ja eigentlich immer gnädiger als unsere verurteilenden Reden, die immer auch von unserem Bemühen geprägt sind, uns selbst besser dastehen zu lassen. Zur Wahrheit gehört dann auch, denn anderen in seinem Schmerz zu sehen und das auch einmal stehen zu lassen und zu ertragen. Was Luther hier am Ende mit „herzlich“ übersetzt, ist mehr. Das griechische Wort an dieser Stelle heißt wörtlich sogar „sind in den Eingeweiden wohlfühlen. Es heißt soviel wie mitfühlen und mitleiden und mein Herz dafür öffnen. Die Wahrheit liegt dann nicht in abstrakten Begriffen, sondern auf dem, der der Bibel zufolge die Wahrheit ist, Jesus selbst. Seine Stimme ermöglicht es uns, uns in Wahrheit und Aufrichtigkeit, im Schmerz und in der Sehnsucht unseres Lebens uns anzunehmen.


Dann ist da als dritter Schwerpunkt den Umgang mit Besitz. Man soll nicht stehlen, sondern abgeben von dem, was man erwirtschaftet hat. Da geht es übrigens nicht nur um Geld und Besetz als wirtschaftlich-finanzielles Kapital. Es geht ebenso um Arbeitskraft, es geht um Bildung und Fertigkeiten, die wir haben. In alldem liegt eine soziale Verpflichtung. Was daraus heute im Streit um Gerechtigkeit und Solidarität in unserer Gesellschaft folgt, ist umstritten und dürfte auch unter uns umstritten sein. Wie immer man sich da entscheidet und welche Position man in dieser Diskussion bezieht: In ihr sollte die Maxime des Epheserbriefs gelten: Besitz und Erwerbskraft sind eine soziale Verpflichtung. Es reicht nicht aus, wenn wir Besitz vor Übergriffen anderer schützen – wir haben Besitz, um für andere etwas zu tun. Und auch an dieser Stelle setzt sich immer wieder eine souveräne Stimme gegen unsere Egoismen durch. Was wir haben, haben wir empfangen – wir haben empfangen, um unsere materiellen wie immateriellen Gaben an andere weiterzugeben.


Ein letzter Gedanke, den ich am Anfang schon anklingen ließ. Ziemlich in der Mitte des Abschnittes heißt es: „Und gebt nicht dem Teufel Raum.“ Was soll das meinen? Ist da, wo Streit und Unwahrheit und Verständnislosigkeit herrscht, der Teufel am Werk, so, wie man ihn sich manchmal vielleicht auch vorstellt: ein böses Gegenwesen, das uns vom rechten Weg abzubringen sucht? Das wäre in der Tat erst einmal ein verlockender Gedanke. Denn wenn mich eine böse Gegenmacht versucht, dann kann ich vielleicht wirklich nichts machen, so sehr ich mich anstrenge. Dann liegt die Schuld letztlich ja doch nicht bei mir, dann kann ich eigentlich nichts dafür.


Der Teufel freilich, egal wie man ihn sich vorstellt, ist zunächst einmal der, der alles durch einander bringt, der diabolos. Der Teufel ist da, wo mir die Werte verrutschen, wo ich gut und böse nicht mehr unterscheiden kann. Es ist manchmal da, wo ich lieber den einfachen Weg wähle, er ist da wo ich meine, gutes auch mit schwierigen, ja zweifelhaften Mitteln erreichen kann. Der Teufel ist da, wo letztlich doch alles egal ist, wo ich mehr auf mich selbst und meine Interessen schaue als darauf, wie ich meine Gaben einbringen kann. Es ist da, wo er nur noch um Macht, nicht mehr um Liebe geht. Er ist da, wo Gewalt um der Gewalt willen zur Form der Auseinandersetzung wird. Er ist da, wo Menschen nicht mehr in ihrer Würde geachtet werden. Er ist da, wo Zorn und Angst uns beherrschen. In Filmen wird manchmal schlicht, aber nicht falsch inszeniert. Wer einmal die Star Wars Filme gehen hat, weiß: Angst und Zorn führen zur dunklen Seite der Macht. Auch als aufgeklärte Menschen müssen wir manchmal sehen: es gibt hell und dunkel, gut und böse; nur es ist nicht immer einfach, das eine vom anderen zu unterscheiden.


Gebt nicht dem Teufel Raum, das heißt auch: gebt viel mehr Christus, gebt Gott Raum und Ehre in eurem Leben. Wir geben Gott da Raum, wo wir nicht denken, wir allein könnten alle Vollkommenheit erreichen, wir geben Gott Raum, wo wir uns für seine Güte offen halten. Dann bauen wir mit an Gottes Reich, so brüchig, so fragil, so klein es uns manchmal in unserem Alltag auch erscheint. Es ist, wo wir trotz aller Anfechtungen, aller Sorgen und Frustrationen nicht aufgeben, sondern auf seine Güte und seine Vergebung hoffen. Dann wird er unser Leben und auch unser Land verändern, ganz ohne Gewalt. Sondern allein durch sein tröstendes Wort.


Amen.


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