(Römerbrief im 1. Kapitel im 16. Und 17)
16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.
17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«
So heißt es im Römerbrief im 1. Kapitel im 16. Und 17. Vers. Es ist die berühmte Stelle, aus der Martin Luther seine entscheidende Lehre entwickelt hat, den Artikel von der Rechtfertigung des Menschen durch Gott. Wir betreten somit heute Morgen das Allerheiligste der ev. Theologie, das Herzstück reformatorischer Rechtfertigungslehre. Durch die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von der Katholischen Kirche, dem Lutherischen Weltbund und dem Weltrat methodistischer Kirchen im Jahr 1999, wurde das, was Paulus hier formuliert, zu einem Element, das die Ökumene stärkte.
Den Glaubensartikel von der Rechtfertigung bezeichnet Luther als die „Summe der christlichen Lehre“, als die „Sonne, die Gottes heilige Kirche erleuchtet“. Möglicherweise sind heute Morgen ein paar Strahlen davon ja auch hier auf dem Backsteinhof wahrzunehmen... Martin Luther war sich allerdings sehr darüber im Klaren, dass die Lehre von der Gerechtigkeit Gottes schwierig zu verstehen ist. Er meinte: „Wenn man vom Artikel der Rechtfertigung predigt, so schläft das Volk und hustet. Wenn man aber anfängt, Historien und Exempel zu sagen, da reckt es beide Ohren auf, ist still und höret fleißig zu.“
Paulus schämt sich ganz und gar nicht für das, was Gott in Jesus Christus für die Menschen getan hat. Und auch wir wären jetzt nicht hier, wenn uns Gott in unserem Leben irgendwie peinlich wäre.
Wir sind überzeugt: Das Evangelium, ist die Kraft Gottes, die selig macht. Die Zerrissenheit dieser Welt vermag es zu heilen. Es richtet uns in unserer eigenen Schwachheit auf und öffnet unserer Begrenztheit neue Räume. Es schenkt neues Leben. Mit jedem Atemzug.
Das Evangelium ist uns von Gott geschenkt. Gottes Gnade überschreitet theologische Lehrmeinungen. Wir können sie nicht verdienen. Martin Luther selbst sagte: „Ich bitte, schweigt von meinem Namen, nennt euch nicht lutherisch, sondern Christen. Was ist schon Luther? Die Lehre ist doch nicht mein. Ich bin auch für niemanden gekreuzigt worden. Wie käme ich armer, stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi mit meinem heillosen Namen bezeichne.“ Wir feiern kein Lutherfest, sondern ein Christusfest.
Der Glaube an das Evangelium ist nicht statisch, er verändert sich. Er wächst. „Aus Glauben in Glauben“ sagt Paulus. Glaube ist etwas Bewegliches und Bewegendes. Glaube ist der Ursprung, aber auch gleichzeitig das Ziel. Wer glaubt, bleibt in Bewegung, mit sich selbst, mit den anderen und mit Gott. Dabei begleiten sie oder ihn Fragen, die in diesem Leben keine Antworten finden.
Damit wir uns des Evangeliums nicht schämen und im Glauben weiterwachsen, braucht es die Gemeinschaft von Christen. Wir sind aneinander gewiesen, weil Christus unsere Mitte ist. Vielgestaltig und weltweit bezeugen wir ihn.
Ich schäme mich des Evangeliums nicht! Paulus und Luther hat diese Botschaft zu einem Leben in Freiheit befreit. Was das heißen kann, davon haben wir eben schon gehört.
Von Martin Luther wissen wir, dass er wie viele der anderen Reformatoren trotz allem noch mit Ängsten kämpfen musste. Thies Gundlach, einer der Vizepräsidenten der EKD, hat sie in einem Artikel aufgezählt: ‚Die Angst vor Gottes Zorn, die Angst vor Kirchenstrafen, die Angst vor Kaiser und Staat, die Angst vor der Nähe zu Frauen, die Angst vor den falschen Konsequenzen der eigenen Lehre ...‘ Und dennoch: In all seinen Ängsten ist es Luther immer wieder gelungen, dem barmherzigen Gott mehr zu vertrauen, als den eigenen
Ängsten.
500 Jahre nach Luther haben wir möglicherweise ganz andere Ängste. Angst, zu kurz zu kommen. Versagensängste. Vergleichsängste. Sicher tragen auch alle Angst mit sich, die als Minderheit in einem Land leben. Und immer noch nehmen Menschen es sich heraus, mit den Ängsten anderer zu spielen. Das Ereignis: ‚Reformation‘ war deshalb ein Meilenstein in der Geschichte, weil es einer gewagt hatte, sich nicht von den Angstmachern dieser Welt, die unser Leben beherrschen wollen,beirren zu lassen. Sicher hatte er auch aufgrund der historischen Umstände so viel Erfolg beim Nein-Sagen gegen die Mächte dieser Welt.
Er hat den Sprung ins Ungewisse wagen können, weil er sich in allem von Gott getragen fühlte. Glauben heißt Gott vertrauen. Das macht, dass wir gegen alle Angst anleben können. Kein anderes Leben könnte jemals so frei sein.
Amen.