(Predigttext: Mt 22, 1-14)
Liebe Gemeinde!
Mit Einladungen ist es so eine Sache. Das konnte jüngst Thessa, 15 Jahre, aus Hamburg erfahren. Eigentlich wollte sie nur ihren 16. Geburtstag feiern. Doch statt der Schulfreunde stehen plötzlich am Abend 1200 junge Menschen vor dem Einfamilienhaus in einem Hamburger Außenbezirk. Die Polizei muss zahlreiche Beamte und eine Reiterstaffel einsetzen, um der Masse der Menschen her zu werden. Wenige Tage zuvor hatte eine15-Jährige über das Internetportal Facebook zu ihrem 16. Geburtstag eingeladen. Statt die Einladung nur ihren Freunden zu schicken, wurde der Termin öffentlich im ganzen Netzwerk verbreitet. Daraufhin meldeten sich zwischenzeitlich 15.000 Gäste an. Insofern war sogar Schlimmeres zu erwarten. Wirkliche Freude über die vielen Gäste dürfte bei Thessa und ihren Eltern, von den Nachbarn und ihren zertrampelten Vorgärten ganz zu schweigen, nicht aufgekommen sein.
Mit Einladungen ist es so eine Sache – davon erzählt auch Jesus in dem Gleichnis, das wir eben in der Evangeliumslesung (Lukas 14) gehört haben. Nur ist es umgekehrt als bei Thessa: alle sind eingeladen – undkeiner kommt. Alles ist vorbereitet, das Menü mit Sorgfalt zusammengestellt, die Tischkärtchen mit Bedacht platziert, die Musik dezent ausgesucht, so dass jeder auf seine Kosten kommt. Wer Menschen zu einem Fest einlädt, egal wie groß, der muss vieles beachten. Er muss sich nicht zuletzt hineinfühlen in seine Gäste, ahnen oder wissen, was sie mögen, was ihnen Freude bereitet, wer neben wem sitzt, welche Empfindlichkeiten zu beachten sind. Wer will schon, dass ein Fest misslingt, sei es, weil das Essen zu spät oder gar nicht kommt,die Musik irgendwie nicht den Nerv der Gäste trifft oder es plötzlich zu Streit und Unzufriedenheit kommt?
Also ist alles vorzubereiten – und dann kommt der große Moment, in dem die Gäste eintrudeln. Oder eben auch nicht. Jedenfalls ist das das Bild, in das uns Jesu Gleichnis vom großen Gastmahl führt, das wir eben im Evangelium gehört haben und das in der Fassung, die uns Matthäus überliefert, heute Predigttext ist: alle Gäste sind geladen, und keiner kommt. Immerhin, in der Fassung, die uns Lukas überliefert, nehmen dann eben andere die vorbereiteten Plätze ein. Die eigentlich Eingeladenen, sie sind offensichtlich zu sehr in ihrem Alltag gefangen, mit dem Kampf ums Dasein in seinen existentiellsten Dingen und Sorgen beschäftigt, um sich auf ein Fest einladen zu lassen. Und dann kommen eben andere. Mit dieser Gelassenheit reagiert der Gastgeber. Statt sich zu lange zu ärgern, schickt er seine Boten erneut los, um neue Gäste zu finden. Und schließlich feiern alle miteinander.
Anders freilich klingt das bei Matthäus. Er überliefert das Gleichnis in folgender Form:
1 Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach:
2 Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.
3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen.
4 Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit!
5 Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft.
6 Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie.
7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
8 Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert.
9 Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet.
10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.
11 Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an,
12 und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte.
13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein.
14 Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Gegenüber Lukas ist alles noch einmal gesteigert. Nicht nur ein reicher Mann, sondern ein König lädt ein; es nicht mehr nur ein Gastmahl, sondern eine Hochzeit – ein weitverbreitetes biblisches Bild dafür, dass Gott selbst zu den Menschen kommt. Auch die Eingeladenen reagieren ruppiger. Sie entschuldigen sich nicht mehr einfach fadenscheinig, sondern töten die Boten des Königs. Und der, in seiner Ehre verletzt, schickt seine Soldaten aus, um blutige Rache zu nehmen. Zwar wird auch hier noch einmal eingeladen. Die Knechte ziehen erneut aus. Gute und Böse werden gefunden, und schließlich sind alle Tisch voll. Gefeiert wird freilich auch vor dem Hintergrund der rauchenden Trümmer der Zuerst geladenen. Und auch auf dem Fest will nicht nur Freude aufkommen. Denn nicht alle Geladenen sind wirklich richtig vorbereitet. Wie sollten sie es angesichts der unerwarteten Einladung auch sein? Und doch wird der nicht passend Gekleidete in die Finsternis hinausgeworfen. Das, was als Freudenest, geplant war, wird zum Drama, ja zur Tragödie. Eine zerstörte Stadt und ein Blick in die Finsternis, das ist auch die Bilanz am Ende dieser Geschichte, von der schon Luther meinte, dies sei eigentlich ein „schrecklich Evangelium“.
Und so reibt man sich verwundert die Augen. So soll es im Himmelreich zugehen? Ist das der Matthäus, der Jesus wenige Kapitel zuvor jene Worte sagen lässt, die doch gerade inklusiv und nicht exklusiv gemeint sind und die wir als Wochenspruch zu Beginn dieses Gottesdienstes gehört haben: „Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen seid, denn ich will ich euch erquicken.“ Ja, sagt mir, wo ein solcher Himmel ist!?
In dem Gleichnis vom großen Gastmahl kann man diesen Himmel erkennen, so wie Jesus es wohl erzählt und ungefähr bei Lukas und auch im Thomas-Evangelium überliefert ist. Gewiss, da sind Gäste, die nicht kommen, aber am Ende, da wird gefeiert und alle sind dabei.
Matthäus freilich macht aus dem Gleichnis ein allegorisches Bild. Er war gewiss begeistert von den Bildern und den Reden Jesu, so wie er sie etwa in der Bergpredigt aufgeschrieben hat. Doch er, der Jude, kann nicht begreifen, dass nicht alle Juden dieser Einladung Christi Folge leisteten. Ja, er ist nicht nur enttäuscht, sondern wohl auch verbittert. Und so wird diese Enttäuschung in dieses Gleichnis eingetragen. Die Stadt, die zerstört wird, ist für ihn Jerusalem, dessen Vernichtung durch die Römer Jahre 70 n. Chr. er wohl erlebt hat – eine Strafe, so deutet er das. Man mag die Enttäuschung des Matthäus verstehen – welcher Gastgeber, der sich so vorbereitet, wäre nicht enttäuscht, ja wütend -, aber man kann auch nicht die Konsequenzen dieser Bilder verschweigen, die dann eben auch – später, und in gänzlichen anderen Zusammenhängen – als Begründung von Judenverfolgung und Pogromen herhalten konnten.
Ein Korn Wahrheit enthält allerdings auch die Veränderung, die Matthäus dem Gleichnis gibt. Die Fragen der Religion, die Fragen des Sinns in meinem Leben, danach, worauf ich mich selbst gründe in dem was ich denke, fühle, hoffe, handle, sie sind eine ernste Sache. Es geht gleichsam um Leben und Tod, ob ich meinen Lebenssinn erfahre oder ihn verfehle. Eine ganz menschliche, ja allzu menschliche Sorge, die die Vehemenz erklärt, mit der hier zugespitzt wird. Und es scheint, auch das eine menschliche Sorge, die manchmal durch die Erfahrung bestätigt wird, ein zu spät zu geben, um eine Entscheidung zu revidieren.
Nimmt man diesen Gedanken auf, dann fügt er sich auch in die jesuanische Form des Gleichnisses. Den mit seinem Ruf ins Reich Gottes ging doch zugleich der Ruf zur Umkehr, zur Neubesinnung einher. Auch für Jesus war es eine ernste Sache mit und aus Gott zu leben, nicht nur Event und Wellness, Baumeln der Seele. Aber auch zu diesem Ernst gehört die Hoffnung, dass Gott die Menschen bewahrt und nicht aus seiner Hand fallen lässt – auch das gehört zu Weg und Geschichte Jesu, jene Einladung zum Leben.
Diese Zuwendung Gottes, die Jesus praktiziert, ereignet sich in den biblischen Geschichten im Mahl, in der Tischgemeinschaft, sei es im Hause des Zöllners oder mit 5000 am Rande eines Sees. Selbst das kärglichste Mahl wird so zum Fest, zu einem Bild für Gottes Nähe zu uns Menschen. Und wenn man sich auf dieses Bild einlässt, verliert die Frage, zu welcher Gruppe der Eingeladenen man nun gehört, an Bedeutung. Wichtig ist dann, dass das Fest gelungen ist. So schildert es jedenfalls Lukas und im Ruf Jesu: Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen seid, auch Matthäus: Alle sind eingeladen – und alle können kommen.
Was macht dann, um im Bild zu bleiben, das Gelingen eines Festes aus? Vielleicht dies, dass der Unterschied von Knappheit und Fülle, Bedürftigkeit und Erfüllung, von Vereinzelung und Gemeinschaft, von Endlichkeit und Ewigkeit im Fest einmal aufgehoben und außer Kraft gesetzt. Und wie schön kann es als Gastgeber wie als Gast sein – abends, nach dem Fest, wenn das Geschirr weggeräumt ist und der Geschirrspüler zu hören ist – sich noch einmal zu erinnern, mit dem Partner den Abend zu besprechen und dann sagen zu können: ja, das war richtig schön!
Bei gelungenen Festen geht es nicht nur um die Wirklichkeit, sondern die Möglichkeit unseres Seins. Sie zeigen eben nicht nur wie unser Leben ist, sondern wie es sein könnte. In gelungenen Festen zeigt sich so etwas wie der grundlegenden Sinn unseres Lebens. Sie zeigen, wo wir in unserem Alltag getragen sind, aber sie offenbaren auch den Schmerz, die Sehnsucht nach mehr.
Und jetzt wird auch deutlich, warum Jesus dieses Gleichnis erzählt und wieso er es so und nicht anders erzählt: er erzählt Gleichnisse, die geistig wie sinnlich an die Alltagswelt seiner Hörer anknüpfen. Und indem er die Zwiespältigkeit dieses Alltags beschreibt, gibt er uns einen Vorgeschmack, ein Bild, eine Sehnsucht auf das verheißene Gottesreich. Die leibliche Erfahrung eines Festes wird zum Vorgeschmack jener großen, ganzanderen Welt Gottes, in der wir nicht nach der Wirklichkeit, sondern der Möglichkeit unserer Existenz beurteilt und gesehen zu werden: Gottes Kinder zu sein, alle, und das auf ewig.
Mit Blick auf das Gleichnis braucht man dann nicht zu fragen, wer wir sind: die, die im Alltag gefangen sind, das Wesentliche verpassen und sich so selbst ausladen, oder die erst Spätgeladenen, die ihr Glück nicht fassen können. Es geht nicht um die oder wir, nicht erste oder letzte, um Juden oder Christen. Wir sind oft beides: im Alltag gefangen und dann plötzlich reich beschenkt. Uns selbst im Weg und dann wieder offen für neues. Von Routine ermüdet und dann voll neuer Ideen. Aber das ein bleibt und gilt uns unbedingt: eingeladen sind wir zu Gottes Fest, zur Unterbrechung des Alltags, zur Feier der Lebensgabe Gottes, der zu uns sprecht: Kommt, denn es ist alles bereit. Schmecket und seht wie freundlich der Herr ist. Und alle, wirklich alle, sind willkommen.
Amen.