( Römer 8,18–25 ) - [ English ]
Liebe Gemeinde, mit relativ schnellen Schritten nähern wir uns dem Ende des Kirchenjahres. In unserem Blick ist schon der Christkindlmarkt und dann auch die Lichter auf dem Adventskranz, die uns hin zu Weihnachten führen. … aber lasst uns hier in der Kirche doch noch an diesem Ende des Kirchenjahres miteinander verweilen.
Da kommen nun u.a. noch der Buß und Bettag, und der Ewigkeitssonntag. Sie reden von Schuld und von Vergänglichkeit. Sie malen uns vor Augen, was wir sonst mal gern beiseite schieben, nämlich dass unser Leben begrenzt ist und wir eines Tages sterben. Alles Leben vergeht und wir mit ihm. Davon schreibt auch Paulus. Ich lese aus seinem Brief an die Römer im 8. Kapitel:
18Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.
19Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.
20Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung;
21denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
22Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.
23Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.
24Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?
25Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.
Alles Leben vergeht. Paulus sieht diese Vergänglichkeit auch in der Schöpfung. Er beschreibt sie als eine stöhnende und seufzende Welt. Es hat sich also scheinbar gar nichts verändert in all der Zeit die zwischen uns und Paulus liegt. Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt. Schreibt Paulus
Und indem wir Menschen seufzen, sind wir mit der ganzen Schöpfung verbunden. Indem wir seufzen, können wir unser Leiden und Mitleiden zum Ausdruck bringen. Wer seufzt, sehnt sich danach, dass es anders werden könnte. Das Seufzen ist auch Ausdruck von Sehnsucht. So sagt es Paulus: Auch wir „seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes“.Insofern ist jeder Seufzer auch ein Gebet, ein Ruf an Gott. Paulus spricht nicht nur vom Seufzen der Schöpfung und vom Seufzen der Menschen, er sagt: Schließlich nimmt der Heilige Geist selbst unser Seufzen auf. Im Heiligen Geist läuft die Sehnsucht nach Erlösung nicht ins Leere. So spricht Paulus von der Herrlichkeit Gottes, die an uns offenbar werden soll: „Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Größer als alles Leiden, heller als alle Dunkelheiten, das volle Leben. Wer jetzt noch leidet, wird Heilung erfahren, wer jetzt noch Angst hat, wird fröhlich leben können, wer jetzt noch seufzt, wird frei aufatmen.
So weit Paulus. Ist das nicht eine billige Vertröstung für Menschen, die Leid tragen? Darf ich einem Leidtragenden sagen: „Macht nichts. Alles halb so schlimm. Freu dich doch der zukünftigen Herrlichkeit
wäre das nicht gemein, bösartig und herzlos?Ja, das wäre es. Aber so würde Paulus auch nicht reden. Paulus verharmlost nicht das Leid. Er weiß sehr genau: Das Leid, das mir widerfährt, kann mir die Luft zum Atmen nehmen und jeglichen Lebensmut rauben. Das hat er am eigenen Leib erlebt, als er Jesus Christus verkündigt hat. Aber all dies erlebte Leiden hat Paulus nicht davon abgebracht zu sagen: Ich habe dennoch Grund zur Hoffnung. Trotz allem Leid, das mir widerfährt, trotz der finsteren Täler, die ich schon durchschritten habe – das eine bleibt fest bestehen: Ich habe Sehnsucht und ich habe Grund zur Hoffnung.
Und diese Hoffnung hat einen Namen: Jesus Christus. Am Kreuz hat Jesus sein Leiden ertragen und hat ausgehalten bis zum Tod. Aber dort hat Gott ihn nicht gelassen. Dort hat Gott zu Leid, Tod, Elend, Verzweiflung gesagt: All das soll meiner Herrlichkeit und meiner Macht unterworfen sein. Gott hat Jesus vom Tod auferweckt und ihm und allen, die nach ihm kommen, ewiges Leben, Herrlichkeit bei Gott zugesagt. Das ist unser Grund zur Hoffnung – Tod und Auferweckung Jesu Christi – nicht mehr und nicht weniger.
Und das Ziel unserer Hoffnung ist Gottes neue Welt, in der es kein Leid und keine Tränen mehr geben wird
Manchmal fällt es schwer, an diese andere Welt zu glauben! Weil wir doch sehr hier und jetzt festkleben und nichts anderes sehen können. In diesem Sich-nicht-vorstellen-Können, dass außerhalb unserer Wirklichkeit noch eine andere Wirklichkeit existiert, sind wir wie ein Kind vor seiner Geburt.
Dazu eine Geschichte.
Zwillinge lagen im Bauch der Mutter und philosophierten. Sie hatten es warm und gemütlich, sie fühlten sich geborgen, und sie hatten nie Hunger.
„Wir haben es wirklich gut“ sagten sie sich oft. Aber im Lauf der Zeit merkten sie, dass ihre Körper sich veränderten.
„Was soll das?“ fragte der eine Zwilling.
„Ich weiß nicht“ antwortete der andere. „Vielleicht bedeutet es, dass wir hier drin nicht mehr lange bleiben können. Vielleicht nähern wir uns dem Ende – der Geburt.“
Gemeinsam erforschten sie ihre kleine Welt, so gut sie konnten. Sie entdeckten, dass ein anderer vor ihnen an diesem Ort gewesen sein musste, und das machte ihnen Angst.
„Niemals ist irgendjemand zurück gekommen und hat von einem Leben nach der Geburt berichtet. Danach ist einfach Schluss.“
„Bestimmt. Wie sollten wir denn auch ohne die Nabelschnur, die uns ernährt, überleben?“
Sie sprachen oft über die Mutter. Keiner von ihnen hatte sie gesehen. Und was wäre, wenn es sie nur in ihrer Phantasie gäbe?
Schließlich kam der Tag ihrer Geburt.
Als sie zum ersten Mal das Licht sahen, konnten sie nicht anders als weinen. Die Welt draußen war so viel größer und schöner, als sie es sich hatten vorstellen können.
Gottes neue Welt wird alles, was ist und was gewesen ist, in den Schatten stellen. Mit dieser Zuversicht zu leben, ändert meine Sichtweise von Grund auf und schenkt mir eine gesunde Gelassenheit bei allen Irrungen und Wirrungen des Lebens, denen ich in meiner Vergänglichkeit ausgesetzt bin: Krankheit, Misserfolg, Schwäche. ich ertrage es, Platz für Dunkelheiten zuzulassen, Tränen und Schmerz. Ich seufze mit, wenn die Schöpfung leidet. Ich leide mit einem Menschen mit, weil ich weiß, dass nicht der Tod das letzte Wort über mich haben wird, sondern dass Gott am Ende meines Weges stehen wird, um mich aufzunehmen.
Das ist die Hoffnung, mit der ich nicht erst sterben, mit der ich jetzt schon leben darf. Amen
