Galater 2,16-21
Liebe Gemeinde
Friede sei mit euch und die Gnade Gottes, unserem Vater und Herrn Jesus Christus!
Heute halte ich eine Predigt von Ulrike Kaffka und Dr. Holger Kaffka. Unser Predigttext steht im Brief des Paulus an die Galater im 2. Kapitel. Ich lese aus der Basisbibel die Verse 16-21 mit der Überschrift „Durch den Glauben wird der Mensch gerecht, nicht durch das Gesetz“.
16 Aber wir wissen: Kein Mensch gilt vor Gott als gerecht, weil er das Gesetz befolgt. Als gerecht gilt man nur, wenn man an Jesus Christus glaubt.
Deshalb kamen auch wir zum Glauben an Jesus Christus. Denn durch diesen Glauben an Christus werden wir vor Gott als gerecht gelten – und nicht, weil wir tun, was das Gesetz vorschreibt. Schließlich spricht Gott keinen Menschenvon seinen Sünden frei, weil er das Gesetz befolgt.
17Nun wollen wir ja durch Christus vor Gott als gerecht gelten. Wenn sich nun aber zeigt, dass wir trotz allem Sünder sind –was bedeutet das dann? Auf gar keinen Fall bedeutet es, dass Christus die Sünde auch noch fördert!
18Wenn ich nämlich das Gesetz wieder einführe,das ich vorher abgeschafft habe, dann heißt das: Ich selbst stelle mich als jemand hin, der es übertritt.
19Das Gesetz hat mir den Tod gebracht. Ich gelte deshalb für das Gesetz als gestorben, damit ich für Gott leben kann. Mit Christus zusammen wurde ich gekreuzigt.
20Deshalb lebe ich also nicht mehr selbst, sondern Christus lebt in mir. Zwar lebe ich noch in dieser Welt, aber ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes. Er hat mir seine Liebe geschenkt und sein Leben für mich hingegeben.
21Ich weise die Gnade nicht zurück,die Gott uns erweist. Denn wenn wir durch das Gesetz vor Gott als gerecht gelten, dann ist Christus vergeblich gestorben.
Liebe Gemeinde!
„Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ „Was muss ich leisten, damit ich vor Gott bestehen kann?“ – Mit dieser Frage hat sich Martin Luther herumgeschlagen. Diese Frage war der Auslöser für die Reformation: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“
Zu unserer evangelischen Kultur gehört das Wissen, dass wir für die Gnade Gottes nichts leisten müssen. Ja, dass wir für die Gnade Gottes nicht einmal etwas leisten können. Ansonsten wäre Gnade keine Gnade.
Etwas anders formuliert wird die Frage nach dem gnädigen Gott dann doch zu einer Frage, die viele von uns umtreibt. Nennen wir die Frage einfach: „Wie schaffe ich es, den Ansprüchen gerecht zu werden?“ „Was muss ich tun, um endlich heil zu werden?“ Noch einfacher : „Was muss ich tun, wie muss ich sein, um geliebt zu werden?“
Das hat auch viel mit Ansprüchen zu tun, die ich an mich selber stelle, um so zu werden, dass ich genüge, dass ich anerkannt bin. Vieles davon habe ich sicher als Ansprüche meiner Eltern mehr oder weniger bewusst verinnerlicht. Aber dazu kommen auch Ansprüche, die die Gesellschaft, die Kirche, die Arbeitgeber an mich stellen. Da sitzen die kleinen Antreiber tief in mir drin und sagen: „Sei ein guter Mensch!“ „Lebe umweltbewusst!“ „Wenn du viel leistest, dann bist du gut, dann bist du anerkannt!“ Ich glaube, die meisten von uns hier kennen sicher solche oder auch noch ganz eigene Antreiber, die einerseits unser Tun antreiben und ja auch zu einer Menge guter Dinge beitragen – die uns aber auch oft unter Druck setzen und unfrei machen. Das geschieht ganz privat aber auch in der Kirche und in unserer Gesellschaft.
Diese Frage, „Was muss ich tun, um anerkannt, um geliebt zu werden?“, hat durchaus auch religiösen Charakter. Ich will ja nicht nur von Menschen, sondern letztlich will ich auch von Gott geliebt werden und ein sinnvolles, erfülltes Leben leben.
Mit Paulus können wir sagen: Du wirst es nicht schaffen! Nicht durch die Erfüllung deiner Ansprüche. Wenn du so herangehst, wirst du nicht genügen. Niemals.
Das war damals so, und das ist heute so. Wenn du stets darum kämpfst, geliebt zu werden, dann machst du dich abhängig und du bist unfrei! Je mehr du genügen willst, desto weniger wirst du leben. Selbst dann, wenn die Werte, denen du da unbedingt genügen willst, christliche Werte sind.
Aber welcher Weg steht uns dann offen? Wie kommen wir dann zum Heil in unserem Leben?
Lasst uns einen Auszug aus dem Gedicht der chilenischen Dichterin Gabriela Mistral hören. Es erinnert stark an das Hohelied im Alten Testament.
Wenn du mich anblickst, werd’ ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau.
Wenn ich zum Fluss hinuntersteige,
erkennt das hohe Schilf mein sel’ges Angesicht nicht mehr.
Die Nacht ist da. Aufs Riedgras fällt der Tau.
Senk lange deinen Blick auf mich. Umhüll mich zärtlich durch dein Wort.
Schon morgen wird, wenn sie zum Fluss hinuntersteigt,
die du geküsst, von Schönheit strahlen.
Welch wunderbare Worte! „Wenn du mich ansiehst, werd' ich schön...“ Ich spüre förmlich den liebenden Blick auf mir ruhn. Nicht prüfend, nicht abschätzend, sondern warm, liebevoll, aufmerk-sam, aufmunternd, vielleicht auch etwas schalkhaft lächelnd. Du blickst mich an – und ich werde schön, bin dadurch schön, dass ich mit liebenden Augen angesehen werde. Wenn ich diesen Blick auf mir spüre, merke ich, wie ich innerlich wachse, mich aufrichte, frei werde.
Ich verstehe, dass ich schon immer schön war. Ich merke, wie alles andere keine Rolle mehr spielt, zumindest nicht mehr die alles bestimmende Rolle. Ich fühle mich gut, ganz, schön. Ich fühle mich so und strahle es auch aus.
Auf die Frage „Wie bin ich richtig?“ „Wann bin ich gut genug?“ – Auf diese Frage antwortet Paulus (ich sage es mit meinen Worten): Du bist richtig! Du bist richtig, schon bevor du dir die Frage stellen kannst. Der Blick Gottes ruht auf dir. Wenn der Blick Gottes auf dir ruht, dann bist du gut, dann bist du richtig.
Dieser Blick Gottes, der auf jedem und jeder von uns ruht, schenkt uns die Freiheit, aus der wir wissen: So wie ich bin – auch mit meinen Fehlern – bin ich richtig, bin ich geliebt! Auch mit dem, was in der Kirche über Jahrhunderte Sünde genannt wurde, bin ich als Person richtig – von Gott her.
Der Blick Gottes verändert mich. Es ist nicht nur so, das ich mich plötzlich anders wahrnehme. Es ist nicht so, dass ich meine Fehler nicht mehr bemerke. Der Blick Gottes verändert mich in meinem Sein. So wie der Blick der Geliebten mich auch verändert, wenn ich ihm glaube. „Wenn du mich ansiehst, werd' ich schön...“
Ich spüre, dass mich die inneren Antreiber dort verlassen, wo ich mich auf Gottes Blick einlasse, wo ich Ihm glaube. Das gelingt nicht immer, aber hin und wieder. Und das ist wunderbar. Ich merke, wie gut mir das tut.
Andererseits nehme ich auch eine Furcht in mir wahr, die Furcht davor, plötzlich nicht mehr zu wissen, wozu ich dann auf dieser Welt bin. Was ist meine Aufgabe? Was heißt das ganz konkret für mein Leben? Es kann doch nicht egal sein, wie ich lebe und was ich tue? Reicht es wirklich, nur zu wissen, ich bin von Gott angesehen, ich bin schön? Reicht es, dem zu glauben?
Paulus sagt: „So lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir, durch mich.“ Diese Gewiss-heit nimmt mir die Angst, dass ich plötzlich unnütz werden könnte, oder faul, wenn meine alten Antreiber kleiner werden. Christus lebt mich. In mir wird es schön und gut. Nicht immer ganz und gar, aber jedenfalls so weit, wie ich dem Blick Gottes Raum gebe in mir. Daraus wächst Frucht. Nicht immer ohne Mühe, aber jedenfalls ohne die Anstrengung, dass ich damit das Heil erringen muss und es nie schaffe. Gott nimmt Raum in mir. Gott setzt mich ins rechte Licht. Was ich dann wirke, ist gut.
Dorothee Sölle schreibt: „Wir können so leben, als lebten wir bereits in einer befreiten Welt. Wir müssen sie nicht selbst befreien. Aber wir haben die Vision vor Augen, wir wissen, wie ein befreites Leben aussehen kann.“ Die Bibel ist voll von Bildern und Geschichten darüber. Diese Bilder, die Sehnsucht, die Hoffnung tragen wir in uns, selbst wenn wir die Bibel nicht so gut kennen. Und wir wissen auch den Weg dorthin, unseren Weg: Jesus hat es oft genug gesagt, er hat es vorgelebt. Ich weiß nun, wie es geht, ich weiß nun, wo es hingeht, zumindest im Großen und Ganzen. So kann ich meinen Weg gehen. Ganz getrost in dem Wissen: Es hängt nicht an mir. Ich schaffe es nicht. Ich muss es auch nicht schaffen.
Gottes Aufmerksamkeit ruht auf mir und macht mich schön. Sie macht mich ganz, sie macht mich gut. Das ist das wichtigste. Alles andere kommt danach, sortiert sich darum. Alles andere geschieht.
Und noch etwas: Ich bin ja nicht die einzige, die angesehen und darin schön ist. Jede und jeder ist es. Wie anders sieht die Welt, wie anders sehen manche Mitmenschen in meinen Augen aus, wenn ich mir das bewusst mache. Den, mit dem ich meine Schwierigkeiten habe, sehe ich plötzlich in einem anderen Licht, wenn ich erkenne, dass Gottes Blick auf ihm ruht. Gott sieht ihn an und Gott sieht mich an. Das verändert mein Verhältnis zu ihm. Was auch immer uns plagt, wie wenig wir auch zu schaffen meinen: Gott sieht uns an. Gott umhüllt uns zärtlich. Dich. Mich. Jede und jeden hier. Mit diesem Blick Gottes auf uns können wir wissen, dass wir richtig sind, auch inmitten alles Falschen. Wir wissen auch, dass andere richtig sind; wir können versuchen, mit den Augen Gottes auf sie zu schauen. Dann wird sich die Welt verändern. Durch uns.
Und manches Falsche werden wir wohl auch weiter zustande bringen. Aber das Wissen um den Blick Gottes macht uns frei. Diese Freiheit wird immer stärker dafür sorgen, dass wir nicht nur richtig sind, sondern auch richtig wirken. Sozusagen von allein.
„Wenn du mich anblickst, werd’ ich schön. Senk lange deinen Blick auf mich. Umhüll mich zärtlich durch dein Wort. Schon morgen wird die du geküsst, von Schönheit strahlen.“
Dass wir darauf von ganzem Herzen vertrauen und Frucht daraus wächst, das schenke uns unser Gott in seiner unendlich reichen Gnade und Erbarmung.
Amen.