Psalm 147,3
Liebe Gemeinde,
ein deutsches Sprichwort lautet: Scherben bringen Glück. So ist es dann auch ein alter deutscher Brauch bei einem Polterabend, am Vorabend einer Hochzeit, Geschirr zu zerschmeißen.
Scherben bringen Glück? Stimmt das?
Zunächst ist es traurig, wenn es Scherben gibt. Wie schnell das geht. Ein unaufmerksamer Moment kann etwas kaputt machen, was viele Jahrzehnte gehalten hat.
Man kann sich dann noch so sehr ärgern und schimpfen. Kaputt ist kaputt.
Eine Bombe über einem Haus in Israel oder Palästina. Ein zerstörtes Haus in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine.
Ein Überfall in Mamelodi. Ein Brand in Kroondal. Ein Sturz von der Leiter.
Wir haben genug Erfahrungen, wie zerbrechlich/vulnerable unser Leben ist.
Scherben bringen Glück? Ich setze ein großes Fragezeichen, weil es fraglich bleibt, ob es so ist.
In diesem Jahr habe ich mich sehr viel, aus unterschiedlichen Gründen, mit dem Thema „Trauma“ beschäftigt. Trauma ist eine heftige Reaktion auf eine Situation, in der Zerstörung erlebt wird. Etwas geht kaputt. Auch in der Seele. Als würde sie in Stücke gerissen: Als lege nun das eigene Leben in vielen Puzzleteilen vor einem.
Ein Buchtitel lautet: „The unexpected gift of trauma!” Geschrieben wurde es von einer Amerikanerin, die selbst als Migrantin aus Venezuela viele traumatische Erfahrungen gemacht hat und seit mehr als 20 Jahren mit Patienten arbeitet.
Sie fragt sich wie das kommt, dass manche Menschen mit sehr schweren Lebenserfahrungen fertig werden und ihre Lebensfreude zurückgewinnen, während andere für immer zerstört sind.
Im Zusammenhang mit der Traumaforschung ist mir auch neu bewusst geworden, dass wir als Christen im Zentrum eine traumatische Erfahrung haben: Das Kreuz Jesu.
Doch wir erzählen von diesem Kreuz als einem unerwarteten Geschenk: The unexpected gift of trauma.
Der Buss- und Bettag lädt ein, mehr darüber nachzudenken.
Dazu habe ich euch Bilder mitgebracht.
Ein zerbrochenes Gefäß: Scherben.
Sie stehen als Zeichen für das, was in eurem Leben, in meinem Leben, in unserer Welt zerbrochen ist. Ein Scherbenhaufen
Kleine Teile: Das Ganze nicht mehr sichtbar.
Damit haben sich schon viele Menschen auseinandergesetzt.
Manchmal hilft es, sich umzuschauen, wie geht es in anderen Ländern und anderen Kulturen.
1 Es gibt eine japanische Kunst mit dem Namen Kintsugi. Es ist die Kunst, etwas Kaputtes wieder zusammenzusetzen und zu vergolden. Es ist das „goldene Zusammensetzen“
Einer Legende zufolge entstand die Technik Ende des 15. Jahrhunderts, als die chinesische Teeschale des Shogun Ashikaga Yoshimasa zerbrach. Der Legende nach schickte er die Schale zur Reparatur nach China. Als die Schale zurückkam, wurde sie mit Heftklammern geflickt, einem Verfahren, bei dem Metall in gebohrte Löcher auf beiden Seiten der Bruchstelle gesteckt wird, um die Teile zusammenzuhalten.
Yoshimasa gefiel das Aussehen nicht, und er bat japanische Handwerker, eine neue, ästhetischere Methode zu entwickeln - die Anfänge des Kintsugi.
Ich habe ein Bild mitgebracht. Da könnt ihr es sehen.
Aus Scherben entsteht ein wunderbares neues Gefäß. Vergoldete Narben.
Meiner Meinung nach ist das ein wunderbares Bild für die Bedeutung des Buss- und Bettags. An diesem
Tag im Jahr kommen wir ganz bewusst mit unseren Brüchen und unserem zerbrochenen Leben zu Gott.
Gott beherrscht diese japanische Kunst des Heilens nicht erst seit dem 15 Jahrhundert. Viel älter sind Bibelverse, die von Gott als einem solchen Heiler sprechen:
In Psalm 147, 3 heißt es: Gott heilt, die zerbrochenen Herzen sind und verbindet ihre Wunden.
Gott macht uns wieder schön. Gott heilt.
Es gibt viele weitere Stellen mit ähnlichem Inhalt. Auch Jesus Christus hat geheilt – hat zerbrochene Herzen aufgerichtet.
Meiner Meinung nach ist das der Sinn von Buss- und Bettag: es ist die Einladung das unerwartete
Geschenk Gottes mitten in unserer krisengeschüttelten Welt oder eigenen persönlichen Krisen zu entdecken.
Ja, wir werden Narben behalten – das Leben geht nicht spurlos an uns vorüber, doch Gottes Wirken in
unsrem Leben kann dazu führen, dass wir gut mit diesen Narben leben können.
Schaut euch das noch einmal auf den Bildern an.
Zunächst das Zerbrochene. Die Wut, die Traurigkeit, der Ärger und die Schuld und manch andere Gefühle sind mit diesem Augenblick verbunden.
Wenn dann irgendwann so eine Kraft entsteht: wie auch Dietrich Bonhoeffer in seinem
Glaubensbekenntnis ausdrückt, dann ist neues Leben möglich.
Gott wirkt weiter: wie ein japanischer Künstler, der mit großer Geduld, enormen Aufwand, kostbarstem Material ein Wunder bewirkt.
Da steht sie die neue Schale in wunderbarem Glanz. Noch wertvoller als je zuvor.
Das ist die Busse, zu der Gott einlädt. Eine heilsame Einladung. Erfahrbar in Wort und Sakrament. Im Abendmahl feiern wir, dass Gott ein neues Herz schafft.
Das wünsche ich euch am Ende dieses Jahres: Dass die Scherben Glück bringen. Dass ihr jenseits von Brüchen weiterwächst und neues Leben entdeckt.
Gott heilt.
Gott heilt zerbrochene Herzen und verbindet Wunden.
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen